„Wirtschaftsweise“ rechnen mit Schwarz-Rot ab

Berlin (dpa) - Vernichtende Zwischenbilanz von Deutschlands Top-Ökonomen für Union und SPD: Die fünf „Wirtschaftsweisen“ befürchten, dass eine große Koalition mit einer „rückwärtsgewandten“ Politik die Erfolge der Reform-Agenda 2010 und so den Aufschwung verspielt.

Die Experten kritisierten zentrale schwarz-rote Projekte wie einen gesetzlichen Mindestlohn, die Mitpreisbremse und den drohenden Griff in die Rentenkassen. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte, das Gutachten komme zum richtigen Zeitpunkt. „Wir werden die Hinweise ernst nehmen“, betonte sie am Mittwoch vor der fünften großen Koalitions-Verhandlungsrunde. Aber nicht alle Forderungen könnten eins zu eins umgesetzt werden.

Der Vorsitzende des Sachverständigenrates, Christoph Schmidt, knöpfte sich Union und SPD vor. Viele Politiker glaubten wohl, die gute Wirtschaftslage sei vom Himmel gefallen. „Allein mit Umverteilen und Ausruhen auf Erfolgen wird es nicht getan sein“, sagte Schmidt. Wohltaten wie die Mütterrente, die Aufstockung von niedrigen Renten oder großzügige Ausnahmen von der Rente mit 67 gingen überwiegend zu Lasten der kommenden Generationen. Die Sozialreformen der Agenda 2010 dürften nicht verwässert werden. Höhere Steuern seien überflüssig.

Einen bundesweiten Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro pro Stunde - das Hauptwahlversprechen der Sozialdemokraten - lehnten vier der fünf „Weisen“ ab. Es wäre leichtfertig, einen Lohnuntergrenze so hoch anzusetzen. „Die Dosis macht das Gift“, sagte Schmidt. Aber auch eine niedrigere Stundenlohn-Vorgabe würde Arbeitsplätze vor allem in ostdeutschen Firmen gefährden. Der gewerkschaftsnahe Ökonom Peter Bofinger hält dagegen einen Mindestlohn für überfällig.

Scharfe Reaktionen lösten die Empfehlungen der „Weisen“ bei Gewerkschaften und Opposition aus. DGB-Chef Michael Sommer sprach von Ratschlägen „aus der Mottenkiste des Frühkapitalismus“. Der Vize-Chef der Linksfraktion im Bundestag, Klaus Ernst, behauptete, die Ökonomen würden Politik für Großunternehmen und Wirtschaftsverbände betreiben. „In dieser Form sind die Wirtschaftsweisen überflüssig und gehören abgeschafft“, sagte er „Handelsblatt Online“. Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter lobte dagegen, die Wissenschaftler hätten Schwarz-Rot durchaus entlarvt: „Union und SPD schmieden an einer Koalition des Stillstands, wo Bewegung nötig wäre.“

Die Ökonomen gehen davon aus, dass sich die Wirtschaftslage in Deutschland 2014 „aller Voraussicht nach aufhellen“ wird. Das könnte dauerhaft so bleiben. „Es scheint ein langangelegter Konjunkturaufschwung zu kommen“, sagte Schmidt. Für dieses Jahr wird ein Zuwachs beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 0,4 Prozent, für das Jahr 2014 von 1,6 Prozent erwartet. Die Regierung hatte zuletzt 0,5 beziehungsweise 1,7 Prozent vorausgesagt. Mit Blick auf die aktuelle Konjunktur und die Rekordbeschäftigung von rund 42 Millionen Menschen meinte die Kanzlerin, als ihr das 500-Seiten-Gutachten übergeben würde: „Die Lage ist im Augenblick recht gut. Das kann uns mit Freude erfüllen.“