Hat das Auto als Statussymbol ausgedient?

Berlin (dpa) - Mensch und Auto - jahrzehntelang war diese Bindung in Deutschland so innig wie in keinem anderen Land. Doch die Macht des Statussymbols bröckelt. Die Konkurrenz ist gewachsen. Und die Hersteller haben einiges schlicht verbummelt, meinen Experten.

Das wichtigste Statussymbol überhaupt hat vier Räder und viele PS. Das zumindest galt hierzulande lange Zeit. „Die Menschen und das Automobil, das ist hier so tief ineinander verankert wie nirgends auf der Welt“, sagt Peter Kruse vom Beratungsunternehmen Nextpractice in Bremen. Doch ausgerechnet in Deutschland fehlt es dem Image von Autos immer mehr an Glanz. „Das Auto scheint für viele Menschen so ein austauschbares Produkt zu werden wie der Kühlschrank“, sagt Wirtschaftswissenschaftler Alfred Kuß von der FU Berlin. „Mit einem Porsche kann man doch niemanden mehr beeindrucken, zumindest in den meisten Milieus.“

Die Verkaufszahlen zeigen: Vor allem jüngere Menschen greifen gern zum statusneutralen, soliden Kleinwagen - oder verzichten gleich ganz auf ein eigenes Auto. „Die Mittelklasse ist die neue Oberklasse“, sagt Kruse. „Status ist im Bereich Auto kein gewollter Wert mehr.“ Bei den Kleinwagen gebe es einen wachsenden Premium-Bereich - dort ende der Ehrgeiz vieler potenzieller Käufer.

Es werde immer Menschen geben, für die das Auto ein Fetisch sei, sagt Andreas Pogoda von der Brandmeyer Markenberatung in Hamburg. „Wir leben im Epizentrum der Autoverliebtheit.“ Doch daneben entstehe seit 10, 15 Jahren Überraschendes: „So eine gewisse Gewinn-aus-Verzicht-Mentalität. Die Möglichkeit, bewusst nicht mitzumachen, bewusst kein Auto zu kaufen“. Er sehe dies als andauernde Entwicklung. „Das System Auto muss aufpassen, dass die Anzahl der Verweigerer nicht immer mehr wächst.“

Dem „liebsten Kind“ vieler Deutscher wurde in den vergangenen Jahren vor allem eines entzogen: die Liebe. Das Fahren im eigenen Auto sei für viele Jugendliche nicht mehr das Größte, auf neue Modelle werde nicht mehr hingefiebert, Auto-Kartenspiele seien nicht mehr das Nonplusultra für Jungs, sagt Kruse. Immer öfter seien beim Kauf eines Autos kaum mehr Emotionen im Spiel. Befragungen zeigten: „Mit einem geilen Badezimmer macht man oft mehr Furore als mit dem Auto“.

Doch gerade die Emotionen sind es, die Gewinne sprudeln lassen. „Man muss verliebt sein, um etwas auf Pump zu kaufen“, sagt Kruse. „Wenn etwas emotional besetzt ist, guck' ich nicht aufs Geld“, betont auch Ferdinand Dudenhöffer vom Center Automotive Research der Universität Duisburg-Essen. Dies gelte bei vielen Menschen für den Urlaub, aber auch für Kleidung oder gesunde Lebensmittel. Das Auto dagegen verliere im Reigen der Statussymbole an Glanz. Einige Firmen versuchten mit „erinnernder Werbung“, die Emotionen wieder aufleben zu lassen - nach dem Motto „War's nicht früher schön, und immer mit DER Automarke“, so Kruse. „Das reicht aber nicht.“

Der Wagen vorm Haus zum funktionalen Zweckgegenstand degradiert wie Toaster oder Waschmaschine - wie konnte das passieren? „Es sind einfach mehr emotionale Dinge auf dem Markt heute“, sagt Dudenhöffer. „Der Wettbewerber ist nicht nur ein anderer Autohersteller, sondern auch der Urlaubsanbieter und der Golfplatz.“

Einig sind sich die Experten, dass die Hersteller Mitschuld tragen am angekratzten Image. „Wenn Leute heute an Innovationen denken, denken sie an ökologische Innovationen“, sagt Kruse. Die Autofirmen hätten sich für die Gedankenwelt ihrer Kundschaft viel zu wenig interessiert - und wenig Neues in punkto Nachhaltigkeit präsentiert.

Klimaschutz sei ein wichtiges Thema, sagt auch Dudenhöffer. „Immer nur weiter auf mehr PS zu setzen, ist ein Risiko für die Autohersteller.“ Gerade in diesem Bereich habe sich - „beschämend“ in einem Land der Erfinder und Erfindungen - wenig getan, sagt Pogoda. Stoßfedern aus leichtem Kunststoff statt aus Metall, nützliche Geräte - all das habe kaum oder um Jahre zu spät Eingang gefunden.

Die Chance, mit revolutionären Ideen weiter Emotionalität aufzubauen, sei vertan, die Gefahr wachse, für das Verharren auf dem Gestrigen „sozial geächtet“ zu werden, sagt Dudenhöffer. „Die Ingenieure sind großgeworden mit Verbrennungsmotoren, sie haben Scheuklappen für Alternativen.“ Das „System Auto“ schwächten aber noch andere Faktoren, sagt Pogoda: hohe Benzinpreise, verbesserte Alternativen wie Bahn und Billigflieger, verstopfte Autobahnen, auf denen kaum ein Fortkommen sei.

Mit Werbekampagnen allein sei da kaum gegenzusteuern. „Die Wirkung von Marketingkampagnen wird deutlich überschätzt“, sagt Kuß. Um aus der Krise zu kommen, müssten Autohersteller Pogoda zufolge vor allem drei Dinge tun: „nachhaltige Motoren mit weniger Emissionen bauen, politisch auf den Straßenbau einwirken, Autos mit Innovationen für junge Menschen so unverzichtbar machen wie ein Smartphone“.

So oder so wird es neue Firmen geben, neue Ideen. Einem weltweit operierenden Carsharing-Anbieter etwa rechnet Kruse beste Erfolgsaussichten aus. Pogoda allerdings sieht im Engagement der Autofirmen in diesem Bereich vorerst nur „evolutive Suchbewegungen“. Einigkeit herrscht dagegen beim Elektro-Bike, dem nicht nur Kruse große Chancen bescheinigt. „Mich verblüfft das, weil Motorroller sich hierzulande nicht so etabliert haben, aber: Elektro-Räder verkaufen sich in der Tat“, sagt Pogoda. „Wenn ein Banker mit dem Elektro-Rad zur Börse fährt - das wertet natürlich die "Auto - nein danke!"-Entwicklung noch auf.“