Dead Drops: Toter Briefkasten 2.0 mit USB-Stick
Erfurt/Berlin (dpa) - Dead Drops entdecken ist wie Schatzsuchen. Im Internet gibt es das Foto eines kleinen Silberdings in einer alten Mauer - dann geht es los durch die mittelalterlichen Gassen der Erfurter Altstadt.
In der Nähe des Doms steht ein verfallenes Haus. Roter Backstein bröckelt von der Wand - und mittendrin, schwer zu erkennen, schaut das silberne Ende eines USB-Sticks heraus. In dieser Erfurter Mauer steckt der erste Dead Drop Europas - ein toter Briefkasten in der digitalen Welt. „Eine Kunstaktion“, sagt Initiator Aram Bartholl. „Inzwischen dringt die Idee in die Popkultur ein.“
Den ersten seiner toten Briefkästen hatte Bartholl Ende vergangenen Jahres in New York platziert. Seitdem verbreitet sich die Idee wie ein Lauffeuer, mehr als 270 Dead Drops gibt es weltweit - in Tel Aviv, auf Réunion im Indischen Ozean, in Rio de Janeiro oder eben Schweinfurt, Braunschweig und Erfurt. Was steckt dahinter? „Man stöpselt sein Laptop in wilder Natur oder im öffentlichen Raum an eine Mauer und weiß nicht, was man findet“, sagt der 38-Jährige. Eine Datentauschbörse offline, ein Gegenpol zur vernetzten Internet-Welt: „Ich spiele gern mit diesen Gegensätzen“, betont der Medienkünstler.
Auf dem USB-Stick in der Erfurter Backsteinmauer finden sich neben diversen Internetlinks eine Audiodatei mit Beethovens Siebter, ein Streetart-Magazin, Fotos und Songs lokaler Musiker. Einige Besucher haben sich mit kurzen Textnachrichten verewigt. Erst 377 Megabyte sind belegt, insgesamt wäre Platz für zwei Gigabyte Daten.
„Ich hab keinen große Überblick, was weltweit auf den Drops drauf ist“, sagt Bartholl. Auf seine hat er vor allem Kunstvideos übertragen, im französischen Toulouse gebe es eine richtige Kunstausstellung verteilt auf mehrere Drops in der ganzen Stadt. Ein Pariser hat sich eine Stadtführung von Drop zu Drop ausgedacht. Das Projekt entwickelt sich als Selbstläufer - keine Kontrolle, das gehört zur Idee.
Dass auf den Dead Drops auch illegal und anonym Musik und Filme getauscht werden könnten, ist Bartholl bewusst. „Ich hab kein Problem damit, dass alles möglich ist“, sagt er. Meldungen, dass auf den Sticks Viren oder Pornografie lauerten, habe er noch nicht bekommen. Wer sich an seine Drops anstöpselt, beobachtet der Berliner nicht. Anonymität gehört zum Abenteuer dazu.
Stefan Zeuke von der Braunschweiger Galerie „einraum 5-7“ dagegen schaut neugierig hin, wenn sich jemand an den Dead Drop direkt neben dem Schaufenster anstöpselt. „Wir hoffen auf Kunstwerke, Fotos und Bilder, und wollen damit eine Ausstellung machen“, erzählt er. Der tote Briefkasten sei eine tolle Möglichkeit, lokale Künstler zu entdecken, die sich sonst nicht in die Öffentlichkeit trauen. Zwei Wochen habe es gedauert, bis die erste Datei auf dem Stick war. „Der kam in der Dunkelheit und war auch ziemlich wortkarg.“ Hinterlassen hat er eine Software und einen Text von Erich von Däniken - „Nicht das, was wir eigentlich wollten.“