Julian Assange - ein Puzzle mit vielen fehlenden Teilen
Berlin (dpa) - Die ganz große Aufregung um Wikileaks hat sich gelegt. Auf der Website der Enthüllungsplattform tröpfeln weiter die vertraulichen Depeschen aus US-Botschaften in aller Welt ein. Bisher ist zwar nur ein Prozent des gesamten Materials online verfügbar.
Der Reiz des Geheimnisverrats hat sich aber verflüchtigt, zumal mehrere Medien bereits das gesamte Material gesichtet haben. Rätselhaft bleibt jedoch das Phänomen von Wikileaks-Gründer Julian Assange. Eine Annäherung ermöglicht eine am Donnerstag veröffentlichte Biografie, der in den nächsten Wochen mehrere weitere Bücher zum Thema folgen werden.
„Assange will mit Wikileaks die Welt verändern“, schreiben die Autoren der im Münchener Scorpio-Verlag erschienenen Biografie, Carsten Görig und Kathrin Nord. Tatsächlich haben sich mit Wikileaks die Rahmenbedingungen für staatliche Geheimhaltung grundlegend verschoben. Wenn vertrauliche Dokumente ohne Rücksicht auf staatliche Interessen ans Licht der Öffentlichkeit gebracht werden, soll dies einer kritischen Auseinandersetzung mit den Mächtigen dieser Welt dienen.
Doch bei allen gründlichen Recherchen haben die beiden Journalisten kein klares politisches Motiv von Assange gefunden, das über Transparenz, Informationsfreiheit und Misstrauen gegenüber staatlichen Autoritäten hinausgeht. Seine Inspiration habe sich der Wikileaks-Gründer bei Denkern wie Franz Kafka, Kurt Vonnegut oder Alexander Solschenizyn geholt.
Das Autorengespann des Taschenbuchs „Julian Assange. Der Mann, der die Welt verändert“ hat alle verfügbaren Quellen ausgewertet und die Informationen zu einem Puzzle angeordnet. Darin fehlen zwar noch viele Teile. Wesentliche Züge der Persönlichkeit werden aber erkennbar. Assange erscheint zum einen als präziser Analytiker, der Risiken penibel abwägt. Zum anderen aber stellt ihn die Biografie als einen Egomanen dar, der den Scheinwerfer auf der Bühne der Weltöffentlichkeit allein auf sich gerichtet sehen will.
„Assange ist Wikileaks und Wikileaks ist Assange“, schreiben die beiden Biografen. Wie ausgeprägt sein Selbstbewusstsein sei, werde immer wieder in Interviews deutlich. Fragen, die für ihn uninteressant oder unbequem seien, beantworte er erst gar nicht. Gesprächspartner werden dann arrogant überfahren.
Wenn es Unstimmigkeiten mit Weggenossen gebe, trennten sich die Wege schnell - das war bereits kurz nach der Einrichtung der Internetadresse wikileaks.org im Herbst 2006 der Fall und auch im Sommer 2010 bei der Trennung vom deutschen Wikileaks-Sprecher Daniel Domscheit-Berg. Ungenannte Mitarbeiter zitieren die Autoren mit der Einschätzung: Assange „lässt niemanden mehr neben sich gelten, wird zunehmend paranoid und geltungssüchtig“.
Wenig Sympathie kennen die Autoren bei der Darstellung zu den noch laufenden Ermittlungen in Schweden wegen Vergewaltigung und sexueller Nötigung. Assanges Vorwurf, dass es sich hierbei um ein politisch motiviertes Verfahren handle, sei absurd. Der Australier verstehe die Bedürfnisse von anderen nicht, möglicherweise verstehe er „auch im Umgang mit Frauen nicht, dass Nein auch tatsächlich Nein heißt“. Assange wäre nicht der Erste, der etwas Wichtiges aufgebaut habe, dann aber an einem „übergroßen Ego“ scheitere, resümiert das Autorengespann zum Schluss - etwas voreilig, da weder das Verfahren gegen Assange noch das Projekt Wikileaks abgeschlossen ist.
In den nächsten Wochen und Monaten werden sich weitere Neuerscheinungen Wikileaks und ihrem Gründer widmen. Bereits am 24. Januar wollen Marcel Rosenbach und Holger Stark unter dem Titel „Staatsfeind Wikileaks“ zeigen, „wie eine Gruppe von Netzaktivisten die mächtigsten Nationen der Welt herausfordert“ - so der Untertitel. Für den 11. Februar ist dann der Insider-Bericht von Daniel Domscheit-Berg angekündigt, der unter dem Titel „Inside WikiLeaks“ zusammen mit Tina Kopp über seine „Zeit bei der gefährlichsten Website der Welt“ schreibt.
Voraussichtlich im April kommt dann schließlich Julian Assange selbst zu Wort, in einer Autobiografie, die im schottischen Verlag Canongate erscheint und für die der Kölner Verlag Kiepenheuer & Witsch die deutschsprachigen Rechte erworben hat.