„Jüdisch, mosaisch, israelitisch, israelisch“?

Was stimmt denn nun? Alles! Ja, alles zu seiner Zeit und im richtigen Kontext.

Wuppertal

Foto: Fries, Stefan (fri)

Israelisch: Das ist ein Mensch, der die Staatangehörigkeit des vor 71 Jahren gegründeten, demokratischen Staates Israel besitzt. Er/Sie muss kein Jude*in sein. Im Jahr 2018 lebten im Kernland des jungen Staates 6 523 000 Juden, 1 824 000 muslimische und christliche Araber, 396 000 Andere, das sind Drusen, Beduinen, Christen und Bahai (Quelle: Botschaft des Staates Israel, Berlin).

Israelitisch: Mit diesem Begriff kommen wir an den Anfang der Geschichte des Volkes Israel. Jizchak, der Sohn Abrahams, hatte zwei Söhne: Esau und Jakob. In einem nächtlichen Kampf mit einer unbekannten Macht am Fluss Jabob, wurde Jakob zwar verletzt, hielt aber stand und bekam den zusätzlichen Namen „Israel“, was heißt : „der mit Gott Ringende und der standhielt“. Dass er verletzt aus diesem Kampf hervorging, hat Symbolcharakter für unsere ganze Geschichte. Immer ist nach schwerer Verfolgung der Rest der Israeliten zutiefst verwundet wieder aufgestanden und hat sich dem Leben zugewandt. Dieser Jakob-Israel zeugte zwölf Söhne, die wiederum eigene Sippenverbände begründeten. Sie waren Nomaden und Viehzüchter bis sie nach mehreren Jahrhunderten langsam sesshaft und zu einem von gewählten Richtern geführten „föderalen Bundesstaat“ wurden, denn jeder der Stämme blieb in seinem Gebiet und bewahrte auch seine Eigenständigkeit. Erst unter dem Druck der Kriege gegen die Philister entschloss man sich, um 1025 v.d.Zt. einen König als Anführer zu wählen. König Saul kam aus dem Stamm Benjamin. Nachdem er und sein Sohn in diesem Kampf gestorben waren, wurde David aus dem Stamm Juda zum König gesalbt. Er wählte Jerusalem zu seiner Hauptstadt und holte die Bundeslade dorthin. Sein Nachfolger, Salomo, konnte in einer längeren Zeit des Friedens Wirtschaft und Handelsbeziehungen ausbauen und endlich einen Tempel bauen und damit ein zentrales Heiligtum errichten. Trotz seiner Verdienste verärgerte sein aufwendiger Lebensstil die Fürsten der anderen Stämme und es kam unter der Führung von Jerobeam I. zum Abfall der zehn nördlichen Stämme und zur Gründung des Königreiches Israel, neben dem Königreich Juda, bei dem nur der Stamm Benjamin geblieben war. Mit dem Ansturm der Assyrer im 8. Jhdt. v. d. Zt. wurde das Königreich Israel völlig überrollt und der größte Teil der Menschen verschleppt. Juda konnte sich mit Vasallen-Verträgen retten. Seitdem spricht man von den zehn verlorenen Stämmen des Hauses Israels. Da es jedoch in allen Ecken dieser Welt noch Nachfahren aus diesen Stämmen gibt, heißt der heutige Staat „Israel“ und nicht Juda, denn er hält seine Türen für alle Israeliten offen.

Mosaisch: Manche Behörden verwenden diese Bezeichnung, wenn es um die Religionszugehörigkeit geht, andere schreiben „jüdisch“, einige wissen gar nicht, wie sie damit umgehen sollen. Natürlich trifft auch diese Bezeichnung zu, denn Mosche/Moses war und ist unser größter Lehrer. Er war ebenso ein politischer Führer, der diese wilden Stämme zu einem israelitischen Volk geformt hat. Das war jedoch nur möglich mithilfe der Weisungen, die den Charakter dieser Menschen im Laufe der Zeit geprägt haben.

Jüdisch: Das Königreich Juda bestand noch, bis es 587 v. d .Zt. durch den Babylonier Nebukadnezar besiegt, der Tempel zerstört und die Eliten nach Babylon verschleppt wurden. Allerdings hatten sie das Glück, dass sie unter Cyrus/Alexander 70 Jahre später zurückkehren und den Tempel wieder aufbauen durften. Es kehrten nicht alle zurück. Damit erklärt sich, dass es über lange Zeit bedeutende jüdische Gelehrten-Schulen in Babylon gab – siehe Babylonischer Talmud. Immerhin konnte sich das Königreich Juda trotz vieler Kriege halten, bis die Römer ihm im Jahr 130 unserer Zeit endgültig den Garaus machten. Die Römer und die sich langsam entwickelnden christlichen Gemeinden hatten es nur mit Menschen aus Juda zu tun. So wurden jüdisch, Judentum, Judaismus und Antijudaismus die heute gängigsten Begriffe. Heute ist jüdisch, wer eine jüdische Mutter hat oder vor einem anerkannten Rabbinats-Gericht zum Judentum übergetreten ist. Das ist allerdings ein längerer Prozess, denn Juden missionieren nicht. Wir freuen uns über jeden verlässlichen Freund, haben aber kein Interesse an überschwänglichen Proselyten, die bei der ersten Belastung umfallen, denn Belastungen sind wir in jeder Generation ausgesetzt. Wie Sie den obigen Ausführungen entnehmen konnten, ist „jüdisch“ auch eine Volkszugehörigkeit. Ein Jude kann völlig säkular sein, er/sie bleibt immer ein Teil der Schicksalsgemeinschaft des israelitischen Volkes. In den vergangenen Wochen haben wir sehr viel über die kulturelle und politische Entstehung der Völker Europas in den Medien gesehen und gehört. Dabei wurde deutlich, wie wichtig es ist, sich klar zu machen, dass man auf vielen, vielen Schultern steht. Unsere Erinnerungskultur geht noch gut tausend Jahre weiter zurück. Natürlich verweisen manche Wissenschaftler vieles ins Reich der Legende. Wichtiger ist aber, dass jeder für seine eigene Identität die Erzählungen seines Volkes kennt. Nur wer die Vergangenheit mit der Gegenwart verbinden kann, weiß, welch reiches Erbe er/sie hat, und kann die Zukunft gestalten.