6 aus 20 Buchpreis: Sechs Titel für die Shortlist nominiert

Frankfurt/Main (dpa) - „Kühnes Denken“ und die Sorge um Europa - das eint nach Ansicht von Jurysprecherin Katja Gasser die Autoren auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis. Alle sechs Titel hätten „ein sehr hohes literarisches Niveau“, sagte die Österreicherin der Deutschen Presse-Agentur nach der Bekanntgabe der Liste am Dienstag.

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Bis am 9. Oktober der Sieger verkündet wird, trifft sich die Jury nur noch ein einziges Mal. Gasser ist sicher: „Es wird schwierig.“

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Als die sieben Juroren aus 200 Kandidaten 20 auf die Longlist setzen mussten, gab es „wirklich heftige Debatten darüber, was gute Literatur ist“. In der zweiten Runde waren sich die Jury-Mitglieder dann aber bei den meisten Titeln „überraschend schnell einig“, wie Gasser am Telefon in Wien erzählt. Vier Deutsche und zwei Österreicher sind nominiert, vier Männer und zwei Frauen. Besonders freuen darf sich der Suhrkamp Verlag: Die Hälfte der Shortlist-Kandidaten ist hier unter Vertrag.

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Gerhard Falkner, Franzobel, Thomas Lehr, Robert Menasse, Marion Poschmann und Sasha Marianna Salzmann - einer oder eine bekommt den prestigeträchtigen Preis und 25 000 Euro. Den übrigen fünf Autoren sind schon heute 2500 Euro sicher. Die Auszeichnung, die der Börsenverein des Deutschen Buchhandels seit 2005 vergibt, ist ein Garant für hohe Auflagen. Wichtiger ist der Jury aber, dass sie mit der Long- und Shortlist Lesern „ein Angebot“ macht: Diese Bücher sind literarisch hochwertig und inhaltlich relevant.

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Was viele Autoren umtreibt - von etablierten Schriftstellern wie Menasse über experimentelle Autoren wie Lehr bis zu Newcomern wie Salzmann - ist die Sorge um Europa. „Thematisch ist es die Frage danach, wer "wir" sind und wer "wir" sein wollen, die viele der Texte zusammenhält“, teilte die Jury am Dienstag mit.

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Der Österreicher Robert Menasse wählte für „Die Hauptstadt“ ganz direkt Brüssel und die EU-Bürokratie als Thema: „eine Panoramaaufnahme von Europa, kriminalistisch angetrieben, philosophisch durchdrungen und dabei immer grundironisch“, wie die Jury findet. Teils verwirrend viele Fäden führen dem Leser die heillose Verstrickung des Systems vor Augen, wie Kritiker schrieben.

Nur vordergründig eine historische Geschichte ist „Das Floß der Medusa“ eines anderen Österreichers, Franz Stefan Griebl alias Franzobel. 150 Schiffbrüchige treiben vor der Küste Afrikas - und müssen eine bittere Erfahrung machen: „Wo es kein Brot gibt, gibt es kein Gesetz mehr“. Das reale Unglück geschah vor 200 Jahren, aber es braucht nicht viel Fantasie, die Geschichte auf die Flüchtlingsboote von heute zu übertragen.

Die Katastrophen, die Europa geformt und deformiert haben, kann man in „Schlafende Sonne“ nachlesen. „Thomas Lehr verhandelt, ausgehend von einem einzigen Tag, ein ganzes Jahrhundert“, schreibt die Jury. Das Buch ist literarisch gesehen harte Kost, geschrieben ohne einen einzigen Absatz, ein „Geschichtslabyrinth“, in dem sich die Erzählstränge permanent überlagern. Gasser lobt „die ungeheuere Wucht, mit der das Jahrhundert seziert wird“, gibt aber zu, dass das Buch eher etwas „für leidenschaftliche Leser“ ist als für Konsumenten.

Vielleicht hat die jüngste Autorin auf der Shortlist ja die größten Chancen: Dem Debüt von Sasha Marianna Salzmann attestiert die Jury „große sprachliche und dramaturgische Kraft“. Die 32-Jährige erzählt in „Außer sich“ von Zwillings-Geschwistern, die - wie die Autorin selbst - aus Russland nach Deutschland fliehen und dann weiter nach Istanbul. Heimatlose auf der Suche nach geografischer, politischer, sprachlicher und sexueller Identität.

Etwas aus der Reihe fallen Gerhard Falkners „Romeo oder Julia“ und Marion Poschmanns „Die Kieferninseln“ - eine Schriftsteller-Komödie das eine, eine Akademiker-Posse das andere, im Zentrum mittelalte Männer in der Krise. Auf der Longlist hatten noch mehr Bücher aus dieser Ecke gestanden, aber sie kamen nicht in die nächste Runde - ebenso wie einige bekannte und erfolgreiche Autoren, zum Beispiel Ingo Schulze, Sven Regener und Feridun Zaimoglu.

Falkner hat einen Schriftsteller erfunden, dem am laufenden Band seltsame Dinge widerfahren, bis zu allem Überfluss auch noch eine tote Frau unter seinem Fenster liegt. Bei Poschmann träumt ein zum Bartforscher degradierter Privatdozent, dass seine Frau ihn betrügt; er flieht nach Japan, wo er einen Reisegefährten findet, der mit einer Selbstmordanleitung unterwegs ist - „pure Lesefreude“, findet die Jury.