Der „Pferdeflüsterer“ ist zurück
Berlin (dpa) - Vor fast zwanzig Jahren gelang dem bis dahin nur mäßig erfolgreichen Drehbuchautoren Nicholas Evans ein sensationeller Erfolg. Er veröffentlichte den Roman „Der Pferdeflüsterer“ und landete damit einen Megabestseller, der in 36 Sprachen übersetzt wurde.
Selbst wer den Roman nie gelesen hat, kennt die Geschichte wahrscheinlich aus der Verfilmung mit Robert Redford. Seither ist viel passiert.
Evans publizierte weitere Bücher und hatte gerade mit der Niederschrift seines neuesten Romans „Die wir am meisten lieben“ begonnen, als eine Tragödie sein Leben von einem Tag auf den anderen veränderte. Er vergiftete sich und seine Frau mit selbst gesammelten Pilzen. Ihr Leben hing am seidenen Faden. Evans war fortan von der Dialyse abhängig und konnte nur durch eine Spenderniere seiner Tochter gerettet werden.
Als er nach den dramatischen Geschehnissen seine abgebrochene Arbeit an dem Buch wieder aufnahm, hatte sich seine Sicht auf die Romanfiguren verändert. Er habe sie neu entdeckt, erklärte er in einem Interview. Seine eigene Krise habe ihn empfindsamer gemacht für das Leid und die Traumata anderer.
Tatsächlich geht es in „Die wir am meisten lieben“ um Traumata, die das Leben verändern. Bereits das erste Kapitel zeigt eine zutiefst verstörende Situation: Ein Junge nimmt Abschied von seiner als Mörderin verurteilten Mutter. Schon sehr bald wird sie zur Hinrichtung abgeführt. Wir wissen nicht, warum. Erst ganz zum Schluss wird dieses Rätsel aufgelöst.
Dazwischen erzählt Evans die Geschichte von Thomas Bedford auf zwei Ebenen. Die erste spielt um 1960 herum in England und dann in Hollywood, die zweite kurz nach Beginn des Irakkriegs in den USA. Zum einen wird die schwierige, von Lügen und Demütigungen überschattete Kindheitsgeschichte des Jungen erzählt, zum anderen geht es um den erwachsenen Thomas und sein kompliziertes Verhältnis zu seinem Sohn Danny, der im Irakkrieg Zivilisten ermordet haben soll. Geheimnisse, Vertuschungen, Trugbilder liegen bleischwer auf dieser Familiengeschichte.
Tommy wächst bei Eltern auf, die ihn lieblos behandeln. Er wird in ein Internat abgeschoben, wo er unter den Quälereien und Gemeinheiten seiner Lehrer und Mitschüler zu leiden hat, die ihn als Bettnässer verspotten. In diesem Teil schildert Evans sehr eindrücklich die rigide, teilweise sadistische Atmosphäre in englischen Internaten der 1950er Jahre. Man meint die Peitsche geradezu auf seinem eigenen Rücken zu spüren. Einzige Freude im Leben des verängstigten Jungen sind Wildwestfilme und die sporadischen Besuche seiner Schwester Diane, die zu einer erfolgreichen Schauspielerin avanciert ist.
Eines Tages nimmt sie ihn mit nach Hollywood. Dort taucht der Junge ein in eine schillernde neue Welt, die seine kindlichen Indianerträume noch bei weitem übertrifft. Erst nach und nach muss er einsehen, dass selbst in Hollywood nicht alles Gold ist, was glänzt, bis sich die Dinge zur finalen Katastrophe zuspitzen.
Nach einem recht gelungenen und spannenden Auftakt weist der Roman doch kompositorische Schwächen auf. In der Mitte hat er einen regelrechten Durchhänger. Hier verliert sich Evans in der glitzernden Traumwelt Hollywoods, vielleicht weil er sich von seinen persönlichen Erfahrungen als Drehbuchautor mitreißen lässt. Die langatmigen Schilderungen verschiedener Hollywood-Schmonzetten nehmen der Erzählung den Schwung. Schwierig auch der Bogen, den Evans zu dem anderen Themenkomplex des Buches schlägt: Schuld und Sühne im Irakkrieg. Diese Geschichte scheint eine Nummer zu groß für den Roman.
Kurz und gut: Evans wollte einfach viel zu viel hineinpacken in sein Buch. Er beschränkt sich nicht auf die persönlichen Verfehlungen und Tragödien, obwohl es an denen wahrlich nicht mangelt. Es muss auch gleich noch der Amerikanische Traum mit untergehen. Alles in allem zu viel Schuld, zu viel Lügen, zu viel Traumata. Und am Ende auch zu viel Hollywood. Denn der Schluss ist Seifenoper.