Ende einer Epoche Russischer Literat Daniil Granin gestorben
St. Petersburg (dpa) - Als der russische Schriftsteller Daniil Granin 2014 im Bundestag spricht, flammt die Erinnerung an die Gräuel des Zweiten Weltkrieges für einen kurzen Moment auf. Gestützt auf seinen Gehstock redet der damals 95-Jährige den deutschen Volksvertretern ins Gewissen.
„Der Tod war jemand, der schweigend seine Arbeit tat in diesem Krieg“, sagt er damals in seinem Bericht über die Blockade von Leningrad durch die deutsche Wehrmacht.
Nun ist der Literat im Alter von 98 Jahren in einem Krankenhaus in seiner Heimatstadt St. Petersburg gestorben. Mit Granin verliert Russland einen der bedeutendsten Zeitzeugen des Zweiten Weltkrieges.
Granin gilt als einer der zentralen Autoren der sowjetischen Nachkriegszeit. Zu seinen bekanntesten Werken gehört das „Blockadebuch“, in dem er als Co-Autor die Erinnerungen an die fast 900-tägige Belagerung von Leningrad - das heutige St. Petersburg - aufarbeitet. Hunger, Kälte und Krankheiten brachten Schätzungen zufolge bis zu einer Million Menschen den Tod.
„Granin war eine der letzten wirksamen Stimmen, die den Krieg mit all seinen Schrecken begreifbar gemacht hat“, meint Matthias Uhl vom Deutschen Historischen Institut in Moskau. „Granin war einer der letzten, wenn nicht der letzte wichtige Zeitzeuge.“
Der Historiker befürchtet, dass Granin ein Vakuum hinterlässt im russischen Weltkriegsgedenken. „Heute haben wir in Russland zunehmend ein patriotisches Bild, das siegreiche Schlachten und Heldentaten darstellt. Die Schrecken des Krieges bekommen dabei leider nicht immer die Bedeutung, die angemessen wäre“, sagt Uhl.
Erst im April hatte das russische Verteidigungsministerium mit einer bizarren „Erstürmung des Reichstages“ für Aufsehen gesorgt. Uniformierte Statisten hatten in einem Militär-Freizeitpark bei Moskau den sowjetischen Angriff auf Berlin nachgestellt.
„Das hat alles Eventcharakter“, kritisiert Uhl. Seit Jahren würden zum Kriegsgedenken zunehmend die noch verbliebenen Veteranen in den Mittelpunkt gestellt. Aber wie es weiter gehe, wenn die letzten gestorben sind, sei völlig offen. Es sei wichtig, auch an die Schattenseiten und Gräuel zu erinnern, „damit so etwas nicht noch einmal passiert.“ Und das habe Granin getan.
In diesem Sinne ist es wohl zu deuten, wenn Kulturminister Wladimir Medinski mit Granins Tod vom Ende der „Epoche der Klassiker“ spricht. Als großen Denker würdigt Präsident Wladimir Putin den Autor in einem Beileidstelegramm, als Mann mit „großer geistiger Kraft und Würde“.
Mit seinen Büchern über den Krieg und naturwissenschaftliche Themen prägte der mehrfache Preisträger und Ehrenbürger von St. Petersburg Generationen von Sowjetbürgern. Jüngeren Generationen hingegen dürfte Granin Beobachtern zufolge weniger wichtig gewesen sein.
Geboren wurde Granin - eigentlich Daniil Alexandrowitsch German - am 1. Januar 1919 in Wolyn im Gebiet Kursk. Nach einem technischen Studium wurde er Soldat und erlebte den Krieg als Kommandeur einer Panzereinheit. Die Arbeit als Ingenieur gab er bald nach seinem Debüt als Autor 1949 auf, um sich ganz dem Schreiben zu widmen. Viele seiner Bücher wurden verfilmt. Jahre lang war er Parteimitglied.
Noch 2011 erschien von ihm der Roman „Mein Leutnant“. „Frieden ist ein unschätzbares Gut. Das Buch von Daniil Granin erinnert sehr eindringlich daran“, schreibt damals Altbundeskanzler und Weltkriegsveteran Helmut Schmidt im Vorwort der deutschen Fassung.
Wie sehr der Krieg Granin geprägt hat, wird in seiner bewegenden Bundestagsrede deutlich: „Ich konnte lange den Deutschen nicht verzeihen“, sagt er. Sie hätten einfach auf das Sterben der Stadt gewartet. Doch habe er seinen Frieden mit ihnen gemacht, räumt er 2015 in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur ein. „Ich hatte viele Treffen mit früheren deutschen Gefangenen. Mich hat deren gute Einstellung zu uns gewundert. (...) Jede menschliche Regung, jede kleinste Geste der Güte, war ein Ereignis. Das vergisst niemand.“