Bühnen-Ekstatiker Traugott Buhre gestorben

Er war einer der letzten Charakterdarsteller von Bochum über Berlin bis Wien.

Essen. Auf der Bühne zählte Traugott Buhre zu den ganz Großen des deutschen Theaters, faszinierend durch Wahrhaftigkeit in seiner einfühlsamen Darstellung vielschichtiger, oft widersprüchlicher Charaktere. Mal wortgewaltig und laut, dann grüblerisch und flüsternd fast. Der Künstler mit dem massigen Körper und dem fleischigen, staunenden Gesicht war Mahner und Suchender, Philosoph und - wie er selber einmal sagte - ein "Egozentriker". In der Nacht zum Sonntag starb Buhre im Alter von 80 Jahren.

Die zarte Seele hielt er gut verborgen hinter dem Schutzwall der schweren Statur. Der am 21.Juni 1929 im ostpreußischen Insterburg geborene Pastorensohn verriet einmal: "Auf der Bühne bin ich mir ständig des Spielens bewusst. Genau das macht für mich den Lustvorgang aus: Aus sich herauszugehen und trotzdem selbst zu bleiben." Das Theaterspielen habe ihm in mancher Hinsicht auch die "fehlende Jugend ersetzt", sagte der Schauspieler, der lange in Aumühle bei Hamburg lebte.

Buhres Eltern ließen sich scheiden, als er fünf war. Er wuchs bei seiner Mutter auf. Nach der Flucht absolvierte Buhre seine Ausbildung in Hannover. Köln, Stuttgart, Frankfurt, Bochum, Hamburg, Berlin, Wien und Salzburg gehörten zu seinen Stationen. Er war Claus Peymanns unvergessener Nathan (1981, Bochum). Die "FAZ" schrieb damals: "Sein Nathan war nicht weise, nicht einmal klug, ein lieber Mensch, der Angst und doch den Mut zur Wahrheit hat: die Geburt der Lessingschen Vernunft aus einem Kindergemüt."

Seine Auftritte waren of Bühnenereignisse. Als Faust bestach Buhre unter der Regie von Hans Hollmann (1979, Hamburg), war Edward Bonds Lear in der Inszenierung von Peter Palitzsch (1972, Frankfurt) und immer wieder in Uraufführungen von Dramen Thomas Bernhards dabei. Mit seiner Paraderolle, dem Theaterberserker Bruscon in Bernhards "Theatermacher" tourte er in unzähligen Vorstellungen.

Die Menschen im Westen verstehe er nicht, meinte Buhre einmal. Zu Hause fühlte er sich nur im Osten, "wo die Menschen das Irrationale genauso wichtig nehmen wie das Reale". Er habe seinen Vater nie vermisst, beteuerte Buhre, um dann in seiner typischen Art zu präzisieren: "Allerdings wollte ich wohl - eben weil ich keinen Vater hatte - ein besonders guter Vater sein. Das ist verhängnisvoll für mich geworden."

Und was verstand er unter Egozentrik? "Dass man merkt, dass man von seinem Ich nicht loskommt, mit dem eigenen Ich viele Menschen verletzt, wo man doch nicht nur vorgibt, sondern wirklich den Wunsch hat, mehr zu lieben als zu verletzen."

Das Theaterspielen habe es ihm ermöglicht, nicht immer nur das eigene Ich ertragen zu müssen. "In verschiedenen Rollen kann ich einerseits suchen nach dem, was ich bin. Doch wie gut, ach, wie wunderbar ist es, dass man sich so auch fliehen kann und auch noch dafür bezahlt wird und Applaus bekommt."

Theater müsse beunruhigen, meinte Buhre, der die globale Mediengesellschaft skeptisch sah: "Das Geschäft mit dem Brot ist nie eins geworden, aber das mit Scheinwirklichkeiten ist ein gewaltiges und weltumspannend. Diese Droge, gegen die andere Rauschgifte unbedeutend sind, führt zu geistiger Immobilität, zum Verschwinden von Moral und dient dem Profit einiger weniger."

Über die Menschen sei ein Verdammungsurteil gesprochen, fand der Vater von sieben Kindern: "Niemand bringt das besser zum Ausdruck als das Gretchen in Goethes "Faust": ";Nach Golde drängt, am Golde hängt doch alles. Ach, wir Armen.’ Unter diesem Verdikt stehen wir alle. Dieser Satz ist Wahnsinn."

Aus gesundheitlichen Gründen hatte Buhre vor zwei Wochen eine Lesung und seine Rolle in Andrea Breths Inszenierung "Der zerbrochene Krug" bei dem Kulturfestival im Ruhrgebiet abgesagt.

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