Bühnenabschied von Pianist Alfred Brendel: „Schön haben Sie gespielt!“
Der Pianist Alfred Brendel gab in der überbuchten Philharmonie Essen beim Klavierfestival Ruhr eines der letzten Konzerte.
Essen. "Schön haben Sie gespielt, Herr Brendel, auch die schönen Stellen." Das hat Lina, die Haushälterin von Brendels früherem Lehrer Edwin Fischer, ihm nach der Stunde oft gesagt. Recht hat Lina - ein Brendel macht die "Stellen" überhaupt erst schön und beseligend.
Ein so bewegendes und beglückendes Konzert wie am Dienstagabend in der Essener Philharmonie kann wohl nur Alfred Brendel (77) gelingen. Rund 2000 Menschen drängen sich teils stehend auf den drei Rängen der Philharmonie in Essen, sogar auf der Bühne hat man Stühle platziert.
Brendels Absschiedstournee in diesem Jahr gerät zur Wallfahrt. Prominenz aller Art, von Lang Lang über Gabriele Henkel bis zu Insustrie-Managern ist herbeigeeilt.
Wann hat man jemand je so spielen gehört, dass man dachte, da kraule einer die Tasten? Der große Konzert-Flügel (Steinway D) gehört nicht der Philharmonie, sondern dem Steinway-Haus Hamburg, das ihn nur für Brendel-Konzerte reserviert hält.
Da muss er in diesem Jahr noch ordentlich reisen, nach Baden-Baden, Hannover, Berlin und am 18. Dezember gar nach Wien. Aber sein Klang beinhaltet nun einmal beides: Leuchtende Klarheit und zugleich Wärme. Und unter Brendels Händen entfalten sich zusätzlich die schönsten Klangfarben, erschließen sich selbst sublime Strukturen.
Das Abschiedsprogramm ist ein Bukett der jahrzehntelangen Beschäftigung mit Haydn, Mozart, Beethoven und Schubert. Das Klavierwerk des Letzteren hat Brendel erst für die Konzertbühne wiederentdeckt, wie Joachim Kaiser betonte. Die ausgesuchten Werke markieren Abschiede:
Haydns "Andante con variazioni f-Moll" offenbart schon den Künstler, der mit liebendem Charme die Verzierungen und das Gegeneinander von Dur- und Moll-Variationen auskostet, um dann in der chromatischen Phase in "ein wahres Delirium der Verzweiflung" (Brendel) zu versinken.
Wer außer ihm hätte je Haydn so aus- und in ihn hineingehorcht? Das ist ein Merkmal von Brendel, Sich-Hineinsuchen und -hören. Noch scheinbare Petitessen verwandelt er mit enormer Piano-Kultur in Kostbarkeiten, die aufhorchen lassen.
Dann Mozarts Sonate F-Dur aus dem Jahr 1788: Im schnellen Kopfsatz nimmt uns Brendel mit in einen veritablen Klangrausch. Doch das Moll wird zum vergrübelten Memento mori, erst rect das Andante mit seinen kühnen Abgründen. Im letzten Satz schließlich befinden wir uns "auf einem anderen Stern" (Brendel). Und wenn einer die wahre Mozartsche Grazie zum Leben erwecken kann, dann Brendel.
Beethovens "Sonata quasi una fantasia" opus 27 ist 1802 entstanden. Zunächst fällt auf, wie genießerisch Brendel sich auch hier auf das raffinierte Spiel von Ver- und Hinauszögern und Synkopen einlässt.
Und wenn er auch dem König der Klassik ein prachtvolles, schnelles Fortissimo gönnt - was für ein Unterschied ist das doch zu all den donnernden Rennsportlern am Pianoforte! Und seine Fuge wird zur unerbittlichen Lebensnotwendigkeit.
Nach der Pause die große B-Dur-Sonate von Franz Schubert. Wie sehr Brendel Wert auf Klangreinheit und Klarheit, auf Schuberts Beziehung zwischen Musik und Stille legt, lässt die Klänge leuchten. Der Schluss gerät ihm zu dem, was er eine Mischung zwischen Jean Paulschem Humor und dem Wiener Diktum nennt, die Lage sei ernst, aber nicht hoffnungslos, kurzum: blanke Verzweiflung.
Viele fragen sich nach den Zugaben - Bachs 2. Satz aus dem Italienischen Konzert, Liszts "Au lac de Wallenstadt" und Schuberts Ges-Dur-Impromptu -, mit welcher musikalischen Zukunft man ohne einen Künstler wie Brendel zu rechnen hat, diesen Hüter musikalischer Reinheit. Denn wo andere sich zur Schau stellen, da lässt ein Brendel die Musik sprechen, und nur die Musik.