So oder so ähnlich, könnte ein Tag im Leben eines Lyrikfreundes aussehen. Wobei ein Tag nicht genug ist. Denn das Mammutprojekt "Lauter Lyrik. Der Hör-Conrady", das der Düsseldorfer Patmos Verlag in Kooperation mit den ARD-Sendeanstalten realisiert hat, offeriert auf 21 CDs rund 1100 Gedichte.

Um sie alle hintereinander zu hören, bräuchte man rund 25Stunden. Aber: Wer tut so etwas? Eine Frage, die Karl Otto Conrady (82) immer wieder gestellt wird. 1977 brachte er, damals noch Literatur-Professor an der Uni Köln, "Das große Deutsche Gedichtbuch" heraus. Ein Standardwerk, "der Conrady" genannt, das nicht nur bei Germanisten im Regal steht.

Die letzte Aktualisierung von 2000 wurde zur Basis für den "Hör-Conrady", die 1100 Gedichte sind eine Auswahl der Auswahl. Wer hört sich 1100 Gedichte an? "Das ist ähnlich wie bei klassischer Musik. Ich höre mir ja auch nicht den ganzen Schostakowitsch der Reihe nach an, sondern ich wähle aus. Ich wünsche mir mündige Hörer. Die durchaus auch sagen können: Das gefällt mir überhaupt nicht".

Chronologisch geordnet, beginnt Conradys Überblick beim "Du bist min, ich bin din" eines unbekannten mittelhochdeutschen Verfassers und endet, ganz aktuell, mit "Begriff" von Ann Cotten (geb. 1982). Dafür, dass Sonette, Balladen und Elegien, Hymnen, Gebete und Oden, Slam-Poetry, Satiren und Proteste "die innere Musik der Sprache entfalten" sorgen beim "Hör-Conrady" 14 Sprecher der deutschen Schauspiel-Elite.

Innig erneuert Christian Brückner das Gelöbnis "Du bist min, ich bin din", Ulrich Matthes sprengt die Ketten von Goethes "Prometheus" oder Rosel Zech spürt in Mörikes hellblauem "Er ist’s" viel dunkle Untertöne auf. Weitere Sprecher: Matthias Habich, Jürgen Holtz, Alexander Khuon, Sebastian Rudolf, Samuel Weiss und Hanns Zischler, Donata Höffer, Sandra Hüller, Corinna Kirchhoff und Sophie Rois.