Denk ich an Deutschland...
In „Deutschland 09“ suchen 13 Regisseure wie Tom Tykwer und Fatih Akin nach einem Statement zur Lage der Nation – und scheitern fast alle an ihrer eigenen Selbstgefälligkeit.
Düsseldorf. Die Frage prangte im Raum wie eine grelle Reeperbahn-Leuchtreklame, und sie bestand aus nur einem Wort: Warum? 13 Filmemacher, verdiente Geschichtenerzähler wie Wolfgang Becker, Dani Levy oder Fatih Akin, machen sich ihre ureigensten Gedanken zur Lage der Nation, hieß es im August vergangenen Jahres. Verheißungsvoll? Eher wohl beunruhigend.
Den erhobenen Zeigefinger, der da in zigfach aufgerissene Wunden gelegt werden sollte, sah man bereits vor seinem geistigen Auge blutverkrustet fuchteln. Und als "Deutschland 09" dann im Februar auf der Berlinale Premiere feierte, war er immer noch da.
Einen Beitrag um den nächsten erinnerte er den Zuschauer daran, dass Filme, deren einziges Ziel eine Aussage ist, nicht nur langweilen. Sie verärgern auch immens damit, für wie doof die selbsternannte Intelligenzia ihre Zuschauer hält, deren Befindlichkeiten sie ja angeblich auf den Punkt bringen wollte.
Wir hier oben zeigen Euch da unten jetzt mal, wie’s läuft, indem wir so tun, als wären wir die da unten, die denen da oben mal ordentlich einen mitgeben. Anstrengender kann Arroganz eigentlich nicht sein.
Das Vorbild des Projekts ist "Deutschland im Herbst", der 1978 versuchte, die Nachwehen der Terrorjahre und die Verunsicherung in der Bevölkerung spürbar zu machen. Trotz seiner aus heutiger Sicht altlinken Hysterie, die er dabei verströmte, war er ein ernstzunehmender Beitrag zur schwelenden Diskussion
Wenn man sich nun, 31 Jahre später, die neuen Gedankenspiele ansieht, fragt man immer wieder nach der Motivation, nach dem Anlass dafür, eine Kurzfilmsammlung zu veröffentlichen, die Aufschluss über das gegenwärtige Deutschland geben soll.
Entsprechend antriebslos scheitern die meisten Teilnehmer an einer Relevanz, ganz zu schweigen davon, dass sich kein Gesamtbild zusammensetzen will, anhand dessen eine Standtortbestimmung möglich wäre. Totales Chaos wäre vielleicht der kleinste gemeinsame Nenner. Aber unterscheidet das Deutschland von anderen Nationen?
Als wolle er sagen "Nein", was dem Projekt ja eigentlich seine Existenzberechtigung entzieht, lässt Tykwer in seinem Beitrag Benno Fürmann als gestressten Mode-Kaufmann durch die Welt jetten, jeden Tag woanders die gleichen luftleeren Verhandlungen führen, um bei Starbucks schließlich einen letzten Rest Ruhe inmitten der globalisierten Gleichschaltung zu suchen.
Das sagt über Deutschland ungefähr so viel aus wie die Polkappenschmelze über kolumbianischen Kaffeeanbau. Irgendwie hängt’s zusammen, aber gibt’s da nichts Naheliegenderes?
Fatih Akin, Dani Levy oder Wolfgang Becker finden da immerhin richtige Ansätze, scheitern aber an der Ausführung. Akin rekonstruiert eines der wenigen Interviews, das Guantanamo-Insasse Murat Kurnaz nach seiner Freilassung gegeben hat, indem er seine beiden Darsteller das Frage-Antwort-Spiel seelenlos herunter rattern lässt.
Levy will dem allgemeinen Unmut im Land mit Stimmungsaufhellern zu Leibe rücken, was als leicht peinlicher Slapstick endet. Und Becker nimmt sich die fehlgeschlagene Gesundheitsreform zum Anlass, in einem grotesken Krankenhaus-Singspiel sämtliche abgekauten Wortwitze fallen zu lassen, die jedem drittklassigen Comedian die Schamesröte ins Gesicht treiben würden.
Lediglich zwei der Filme liefern Hintersinniges, Erschütterndes, Erhellendes. Christoph Hochhäusler beißt sich mit experimenteller Bildführung an der Frage, was Deutschland nun eigentlich ist, in einer Zukunft fest, in der Nationengrenzen für die Menschheit keine Rolle mehr spielen.
Und Romuald Karmakar ("Der Totmacher") lässt in der Dokumentation "Ramses" einen iranischen Puffbesitzer in Berlin aus seinem Alltag erzählen. Was dieser Mann über sich, sein Verhältnis zu Deutschland und seine Kunden sagt, ist in seinem Minimalismus treffender, als jede der anderen Kopfgeburten es überhaupt im Ansatz sind.