Die Flüchtigkeit des Moments
Das neue Stück des Düsseldorfer Choreografen Ben J. Riepe hatte Premiere in Essen.
Essen. Ben J. Riepe erteilt wieder Unterricht. Der angesagte Düsseldorfer Choreograf, der an der Schnittstelle von bildender Kunst, Tanz und Theater arbeitet, ist stets bemüht, seinem Publikum eine neue Blickweise auf die Dinge des Lebens zu eröffnen. Nachdem er 2008 lehrte, „Üben Schönheit zu sehen“, ging es jüngst — in Vorbereitung auf die neue „installative Performance“ — ums „Schwarz_Weiß_Denken“.
Der aktuelle Abend, uraufgeführt auf Pact Zollverein im Rahmen des Festivals Tanz NRW, könnte heißen „Üben, innere Bilder zu sehen“. Doch der Titel lautet „The white void_series“. Denn Riepe geht es um Lücken, um das, was nicht zu sehen ist. Um die Flüchtigkeit des Moments.
Die Performance, ein choreografisch gedachter Kreislauf, führt durch zwei Stationen. Der erste, weiß gekachelte Raum ist mit Rollrasen ausgelegt. Ein Ort zum Schauen und Ausruhen: Dort schert ein Schäfer nacheinander zwei Schafe. Im Raum nebenan hat Riepe Erinnerungen inszeniert — höchst lebendig.
Der Zuschauer fühlt sich in eine Szenerie zwischen Speed-Dating und Märchenstunde versetzt. Je einer von 14 Laiendarstellern sucht sich einen Zuschauer aus und fragt ihn freundlich: „Darf ich Ihnen eine Geschichte erzählen?“ Dann führt er ihn zu zwei Stühlen und lässt ihn an einer Erinnerung teilhaben — Themen: u.a. Campingurlaub, ein Kinderstreich, Pflaumenkuchenbacken. Die Wände des Raumes, der an ein Fotostudio oder eine Galerie erinnert, sind leer.
Die Bilder sollen die Erzähler, allesamt über 50 Jahre alt, in den Köpfen der Zuschauer erzeugen. Riepes Konzept ist überzeugend, nur geht es nicht auf. Denn es fehlen Ort und Muße, um innere Bilder entstehen zu lassen. Kaum hat man den Raum verlassen, steht man im Treppenhaus und gelangt von dort wieder zu den Schafen. Spürbar wird Vergänglichkeit, wenn die Darsteller zum Schluss einen fast zeitlupenhaften Tanz ausführen. Bis ihre Hände langsam auseinander gleiten.