Hochkonjunktur für Romane am Theater
Berlin (dpa) - Von „Schuld und Sühne“ über „Die Brüder Karamasow“ bis zu „Tschick“ - Romanadaptionen haben am deutschen Theater derzeit Hochkonjunktur.
Allein in dieser Woche feierten zwei Schlüsselwerke der großen Erzählliteratur Premiere auf der Bühne. Am Schauspiel Frankfurt setzte Intendant Oliver Reese Günter Grass' Jahrhundertroman „Die Blechtrommel“ als monologisches Gnomenporträt in Szene. An der Berliner Schaubühne machte Regisseur Armin Petras aus Christa Wolfs vielschichtiger Ost-West-Erzählung „Der geteilte Himmel“ ein kaum zwei Stunden dauerndes Drei-Personen-Stück.
„Ein Roman bietet die Chance, Menschen zu erreichen, die sonst nicht ins Theater gehen würden, und Stoffe zu machen, die es so noch nicht gab“, sagte der Stuttgarter Schauspielintendant Petras der Deutschen Presse-Agentur. „A priori ist ein Roman immer erst einmal ein epischer Stoff, und es gehören viele Änderungen dazu, ihn zu einem teilweise dramatischen zu machen - zum Beispiel Auslassung, Verdichtung, Verknappung, Zuspitzung, Neudichtung.“
Genau das ist nach Einschätzung von Nils Tabert, dem Chef des Rowohlt Theaterverlags, aber auch das Verlockende für die Theatermacher. „Ein Roman gibt dem Regisseur eine viel größere Freiheit als ein klassisch geschriebenes Stück, seine eigene Vision auf die Bühne zu bringen“, sagt er. „Das ist viel zusätzliche Arbeit, aber auch besonders reizvoll.“ Der Trend zu Dramatisierung von Erzählstücken sei deshalb nicht neu, habe jedoch in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen.
In der laufenden Saison sind es auffallend viele Häuser, die auf das Rezept zurückgreifen. So steht in Frankfurt nach der „Blechtrommel“ schon am 30. Januar die Premiere der „Dämonen“ auf dem Programm - als zweiter Teil von Sebastian Hartmanns Dostojewski-Trilogie. Das Hamburger Thalia Theater bringt nach dem Erfolg mit Siegfried Lenz' „Deutschstunde“ ebenfalls „Die Blechtrommel“ (28.3.) heraus, inszeniert von Luk Perceval.
Am Hamburger Schauspielhaus setzt Regisseurin Karin Henkel die komplette Fassung von Dostojewskis „Schuld und Sühne“ (16.5.) um. Frank Castorf zeigt bei den Wiener Festwochen im Juni ebenfalls Dostojewski - „Die Brüder Karamasow“. Und, und, und ..
Trendsetter war nach Einschätzung von Verlagsleiter Tabert die nur dreistündige, vielgepriesene Theaterfassung von Thomas Manns Familienepos „Buddenbrooks“, die der Dramaturg und Schriftsteller John von Düffel 2005 vorlegte. Seit der Premiere am Hamburger Thalia Theater feierte das Stück auf zahlreichen deutschsprachigen Bühnen Triumphe.
Für Aufführungsrekorde sorgt auch Wolfgang Herrndorfs Jugendroman „Tschick“ in einer Bearbeitung des Dresdner Chefdramaturgen Robert Koall. Nach der jüngsten vorliegenden Statistik des Deutschen Bühnenvereins wurde das Stück allein in der Saison 2012/2013 fast 800 Mal gespielt - so oft wie die beiden klassischen Bühnenhits „Faust“ und „Kabale und Liebe“ zusammen.
„Natürlich lässt sich nicht jeder Stoff dramatisieren, das gelingt mal mehr und mal weniger“, sagt Bühnenvereins-Direktor Rolf Bolwin. Trotz des Trends zur Romanadaption fürchtet er nicht, dass die ausschließlich fürs Theater geschriebenen Stücke verdrängt werden könnten. „Ganz im Gegenteil, ich finde es eine gute Entwicklung, dass die Grenzen zwischen den Genres offener werden.“
Vielleicht gibt es aber auch einfach nicht genug neue, erzählstarke Stücke speziell für die Bühne? Moritz Rinke, einer der erfolgreichsten zeitgenössischen Dramatiker, sieht das so. Allerdings hätten die Theater das selbst mit zu verantworten, weil ihre Inszenierungen in der Vergangenheit Erzählung und dramatische Figuren abgelehnt hätten, sagt Rinke im dpa-Interview. „So gesehen haben wir derzeit offenbar mehr Dramatisierer als Dramatiker.“