Interview: „Im entscheidenden Moment kommt Barbarei zum Vorschein“
„Jud Süß – Film ohne Gewissen“ erzählt mit deftiger Tonart die Entstehung des Propagandafilms. Regisseur Oskar Roehler sagt, warum er gerne provoziert.
Herr Roehler, warum polarisiert Ihr Film "Jud Süß - Film ohne Gewissen" dermaßen?
Roehler: Er hat einfach eine andere Gangart als die anderen Filme, die von dieser Zeit erzählen. Der Film wirft ein grelles, aggressives Licht auf die apokalyptischen Zustände, die im Dritten Reich geherrscht haben: auf die Morbidität, den Nihilismus und die Dekadenz, die nun mal jedem Menschen innewohnen und die durch ein solches System noch verstärkt werden.
Roehler: Ich glaube nicht an das Gute im Menschen. Diese dünne Schicht von fünf Prozent wohlfeiler Oberfläche kann nicht verhindern, dass im entscheidenden Moment die Barbarei zum Vorschein kommt.
Roehler: Eigentlich für jeden von uns - und mit Sicherheit für einige Filmschaffende. Man fragt sich bei ihm, warum er sich vor den Propagandakarren spannen ließ. In gewisser Weise ist das auch auf heute übertragbar, die Versuchungen lauern überall.
Ich kenne beispielsweise gute Schauspieler, die sich geschmeichelt fühlen, wenn sie in einer ZDF-Schmonzette mitspielen dürfen. Das hat viel mit Ruhm, Eitelkeit und Exhibitionismus zu tun.
Roehler: Ich bin kein Heuchler, habe mich nie mit Mächtigen arrangiert. Und wenn Sie es auf die Nazizeit beziehen wollen: Im Dritten Reich wäre ich ohnehin unter entarteter Kunst gelaufen.
Roehler: Es entblößt den Menschen in seiner Lächerlichkeit. Und ich schlage gerne über die Stränge. Es ist mein Protest gegen all das, was im hiesigen Kunstbetrieb steril und brav abgehandelt wird.
Roehler: Es geht nicht darum, Nazis als Witzfiguren darzustellen. Aber man muss sie schildern können, wie sie waren. Und sie waren eben keine höflichen, zurückhaltend agierenden Menschen, sondern dekadente, übersättigte, grobschlächtige Individuen mit niederen Instinkten.
Roehler: In erster Linie ging es mir um künstlerische Wahrhaftigkeit. Die politischen Koordinaten habe ich eingehalten, aber die Figur Ferdinand Marian habe ich etwas verändert, um die Handlung spannender zu machen und beim Zuschauer Empathie zu erzeugen.
Roehler: Diesen Vorwurf finde ich absurd, da sich der Film vor allem um die Frage dreht, warum Marian die Rolle angenommen hat. Wurde er gezwungen, oder wollte er bei den Großen mitspielen? Antworten darauf können nur spekulativ sein. Die Empörung zeigt auch, wie kleinlich das Denken vieler ist und wie sehr sie sich von der political correctness einschüchtern lassen. Man muss immer sehr genau aufpassen, wo der Grenzstrich zur Heuchelei gezogen wird.
"Jud Süß - Film ohne Gewissen" startet morgen in den Kinos.