„So will ich nicht arbeiten“

Tanz: Choreografin Henrietta Horn kritisiert massiv die Bedingungen am Folkwang Tanzstudio.

Essen. Die Choreografin Henrietta Horn erhält am 28. August den Künstlerinnenpreis des Frauenkulturbüros NRW. Zuvor feiert sie ihren Abschied als Leiterin des Folkwang Tanzstudios (FTS).

Henrietta Horn: Allerdings. Und zwischen beiden Ereignissen feiere ich auch noch meinen 40. Geburtstag.

Welche Bedeutung hat der Künstlerinnenpreis für Sie?

Horn: Es gibt keinen schöneren Zeitpunkt: Er kommt zum Abschied vom FTS und bevor etwas Neues beginnt. Ich empfinde es als besondere Ehre, dass es ein Frauenpreis ist.

Sehen Sie ihn auch als politische Auszeichnung, also als Anerkennung Ihrer Entscheidung, Ihre Position wegen der schwierigen Lage am FTS abzugeben?

Horn: Darüber habe ich nicht nachgedacht. Für mich war klar: Ich muss jetzt aufhören, egal was kommt, weil ich total erschöpft bin. Es war eine Notwendigkeit.

Wollten Sie ein Signal setzen?

Horn: Schon Monate vorher hatte ich in einem Rundbrief geschrieben, dass etwas passieren muss. Es gab eine Sitzung mit Vertretern des Hochschulrektorats und dem Kulturbüro der Stadt Essen, bei der alle Verständnis äußerten. Faktisch hat sich aber nicht viel geändert. Entscheidend war letzlich die Frage: Wieviel Kraft habe ich noch für diese Position unter diesen Umständen?

Ein Riesenproblem war der fehlende Produktionsetat. Gab es noch andere Schwierigkeiten?

Horn: Ja, wenn man für zehn Tänzer verantwortlich und in die Hochschule eingebunden ist, braucht man mehr Leute. Wir waren nur zu zweit, Geschäftsführerin Claudia Lüttringhaus und ich. Compagnien am Stadttheater haben einen ganzen Stab. Wir sind befasst mit Hochschulinterna, Stundenplänen, der Organisation von Gastspielen durch Kamerun oder Nahost, Anträgen von Fördergeldern, Verträgen und Aufenthaltsgenehmigungen für Tänzer, Abrechnungen . . .

Trotzdem sind Sie immerhin neun Jahre geblieben und haben mit ihren Choreografien dem Ensemble Profil und Ansehen verschafft . . .

Horn: Es ist in den letzten Jahren immer schwieriger geworden. Die Stadt Essen hat zwar viele Strukturen für den Tanz geschaffen, zuletzt mit dem Tanzplan. Klar ist damit aber auch: Die freien Gelder werden immer weniger. Ähnlich sieht es bei anderen Fördereinrichtungen aus. Planungssicherheit, wie wir sie vor allem für Gastchoreografen brauchen, gibt es gar nicht mehr.

Man kann Projekte einreichen, Beispiel Kulturhauptstadt: Migration ist top! Schulen sind top! Dann bekommt man vielleicht einen Teil bewilligt mit dem Hinweis, den Rest anderswo auf zu treiben. Klappt das nicht, kriegt man dieses Geld auch nicht. Das ist blanker Irrsinn! Ich fühle mich als Künstlerin nicht mehr ernst genommen. So kann und will ich nicht mehr arbeiten!

Künstlerisch haben Sie in den vergangenen Jahren immer wieder überrascht. Auf ruhige, puristische Tanz-Konzentrate folgte plötzlich Schrilles und Experimentelles. Das Klima am FTS scheint trotz allem sehr kreativ . . .

Horn: Ich hatte auch zehn top motivierte Tänzer und ein tolles Team. Es war eine reiche Zeit, wir haben schöne Gastspielreisen gemacht. Choreografien in verschiedenen Ländern und Kulturen zeigen zu können, ist eine große Chance. Vielleicht hatte ich auch zu hohe Ansprüche. Vielleicht ist die Idee der Meisterklasse doch angemessener. Ich wollte nunmal keine Studentencompagnie, ich wollte ein festes Ensemble. Aber ich kann einen langjährigen professionellen Tänzer auch nicht wie einen jungen Absolventen bezahlen.

Welche Pläne haben Sie nun?

Horn: Ich werde für sechs Monate auf einer halben Stelle an der Folkwang unterrichten und ein Stück für die Studenten machen. Es gibt Anfragen für Gastchoreografien und Workshops. Und ein kleines Off-Theater in Göteborg mit 20 Plätzen, zu dem ich eine lange Beziehung habe, hat angefragt, ob ich etwas machen will - es sei jetzt alles grün gestrichen. Ich werde ein grünes Stück für sie machen.

Denken Sie wieder an eine eigene Compagnie?

Horn: Ich möchte keine Verantwortung für andere mehr übernehmen. Ich freue mich aufs Unterrichten, möchte ein neues Solo machen und mit Kollegen aus anderen Sparten experimentieren. Ansonsten sehne ich mich danach, frei über meine Zeit zu verfügen. Zeit für mich und Zeit für meine Familie. Denn FTS und Familie - das ging nicht gut.