Ballett am Rhein Star-Choreograph Schläpfer übt harte Kritik an Düsseldorf
Der künstlerische Leiter des Balletts am Rhein über seine Arbeit und fehlende Wertschätzung in der Landeshauptstadt.
Düsseldorf/Duisburg. Das Ballett am Rhein startet am Freitag mit einer Uraufführung seines Star-Choreografen Martin Schläpfer in die neue Spielzeit: „Konzert für Orchester“ zur gleichnamigen Musik des Meisters der polnischen Moderne, Witold Lutoslawki.
Herr Schläpfer, seit der neuen Spielzeit sind Sie formal nicht mehr Ballettdirektor, sondern künstlerischer Leiter und Chefchoreograf des Balletts am Rhein. Ihnen steht jetzt ein Ballettdirektor, Remus Sucheana, zur Seite. Wirkt sich die Entlastung aus?
Martin Schläpfer: Sehr. Ich fühle viel mehr Freiheit in mir. Zwar arbeite ich genauso viel wie vorher, aber ich renne nicht mehr von Termin zu Termin.
Wie geht Ihnen „Konzert für Orchester“ von der Hand?
Schläpfer: Leicht — in dem Sinne, dass ich noch nie zwei Wochen vor einer Premiere fertig geworden bin. Das Choreografieren bleibt dennoch immer ein Akt und Angst besetzt. Aber diesmal hatte ich mehr Zeit fürs Stück.
Abstrakte Ballette, insbesondere zu schwieriger moderner Musik, machen nicht alle Ballettfreunde glücklich. Viele vermissen Handlungsballette an der Rheinoper. Sie dachten doch selbst schon einmal über „Dornröschen“ nach.
Schläpfer: Es ist ja nicht so, dass der abstrakte Tanz von nichts handeln würde. In der Probe übergebe ich ständig Bilder. Er erzählt nur keine Geschichte von A bis Z. Aber ich habe kein Publikum, das nach Handlungsballetten verlangt.
Da gibt es durchaus andere Stimmen . . .
Schläpfer: Ich habe den Verdacht, dass es eine Illusion ist. Ich kenne viele, die sich ein Erzählballett ansehen und hinterher enttäuscht sind. Dann muss es schon ein phantastischer „Schwanensee“ sein, wie in Paris vielleicht. Aber ist es meine Aufgabe, die Wünsche des Publikums zu erfüllen oder das zu tun, woran ich glaube? Ich bin ein Künstler, der heute arbeitet. Ich finde, der Tanz ist sich selber genug. Es bedarf einer Schnittstelle.
Worin liegt die Schwierigkeit?
Schläpfer: Mit meiner Company kann ich keine „Giselle“ machen. Wie soll ich mit diesen wunderbaren Persönlichkeitssolisten zwischen 18 und 47 Jahren eine einheitliche, klassische Linie hinkriegen? Ich habe kein Corps de Ballet. Aber ich bin an einem Stoff. Nur: Wenn ich mich messen lassen will — und das will ich — brauche ich ein absolut stichhaltiges Konzept. Die Frage ist, wann ich’s mache. Ich habe ja jetzt mehr künstlerische Zeit. Und mein Vertrag läuft ja noch bis 2019.
Wie stehen die Chancen, dass Sie bleiben?
Schläpfer: Die Gespräche beginnen ja erst. Es zieht mich nicht weg, aber das Ballett am Rhein darf nicht auf seinem Status quo verharren. Die Stadt muss mehr tun. Das Marketing tut überhaupt nichts für uns.
Was stellen Sie sich vor?
Schläpfer: Die Stadt muss uns zu einer Marke machen. Düsseldorf ist eine reiche Stadt. Trotzdem haben wir keinen finanziellen Partner, aus der Wirtschaft will niemand die Company sponsern, die dreimal hintereinander das Ballett des Jahres in Europa war. Offenbar merkt keiner, was vor sich geht.
Sie meinen, keiner nimmt wahr, dass sich das Ballett am Rhein zu einem internationalen Tanz-Mekka entwickelt hat?
Schläpfer: Ja. Die Stadt schafft es nicht, großstädtisch zu sein. Dabei ist es eine tolle Stadt. Wenn Sie ein bisschen cleverer wäre . . . Wir könnten eine bedeutende Tanz-Stadt sein, ein zweites Stuttgarter Ballett. Wir haben ja auch das Tanzhaus.
Was brauchen Sie konkret?
Schläpfer: Ich brauche deutlich mehr Geld. Ich möchte Gäste einladen. Wir wollen mindestens drei Gastcompanien pro Jahr hier zeigen. Es ist nicht genug, erfolgreich zu sein. Wir müssen auch irgendwohin wollen.
Sie stellen also gewisse Konditionen?
Schläpfer: Schon. Das muss man jetzt besonnen angehen. Es kann auch nicht sein, dass die Diskussion mit Duisburg wieder neu beginnt. Den Vertrag für das Zwei-Städte-Haus muss man entsprechend verlängern. Mein Hauptziel ist es, möglichst gut zu arbeiten.
Die Stadt hat Ihnen ein Balletthaus für 30 Millionen Euro gebaut.
Schläpfer: Ja, aber die Tänzer hatten auch furchtbare Bedingungen vorher. Und es war ein Kampf. Ohne den ehemaligen Oberbürgermeister Dirk Elbers wäre es nie gebaut worden. Er hatte das Bauchgefühl und hat auf mich gehört. Das war 2014, ich war in Verhandlungen mit dem Staatsballett Berlin und bin deshalb geblieben. Das Balletthaus ist kein Grund, auf den Knien zu liegen. Ich habe jetzt auch weniger Tänzer.
Was kritisieren Sie weiter an den Arbeitsbedingungen?
Schläpfer: Wir haben eine eher mittelmäßige Akustik, vor allem in Duisburg, und technische Ausstattung bei einem riesigen Repertoirebetrieb. Wir bespielen zwei Städte, arbeiten mit zwei Orchestern, was bereichernd und spannend ist, aber kaum Zeit lässt für Gastspiele. Alles ist enorm dicht. Wir haben eine Produktionszeit von fünf bis sieben Wochen für eine Premiere.
Die Strukturen sind eng und festgefahren . . .
Schläpfer: Ja, das ist mein Eindruck. Ich würde auch gern mal ausbrechen, zum Beispiel in einer Industriehalle arbeiten. Da war mal der Gedanke, die Alpensinfonie von Richard Strauss in einer Ruhrpotthalle zu machen. Solche Ideen scheitern aber daran, dass man die beiden Opernhäuser regelmäßig bespielen muss. Die Auflagen des Aufsichtsrats sind da relativ strikt. Düsseldorf/Duisburg ist nach Berlin eines der schwierigsten Häuser.
Klingt, als wären Sie in Düsseldorf nicht glücklich.
Schläpfer: Nein, als Mensch bin ich hier nicht wirklich heimisch geworden, aber das war ich in Mainz auch nicht. Ich bin Schweizer und schon lange fern von der Heimat. Aber ich bin erfüllt in meinem Beruf. Es bleibt genug Kreativität, um zu verlängern. Ich werde immer wissender und radikaler.