Theater „Terror“ spaltet die Theaterbesucher in Tönisvorst

Bei dem Stück müssen die Zuschauer über die Schuld eines Angeklagten entscheiden — es wurde heiß diskutiert.

Foto: Friedhelm Reimann

Tönisvorst. Darf man 164 Menschen opfern, um 70 000 zu retten? Darf sich ein Bundeswehroffizier über den ausdrücklichen Befehl, nicht zu schießen, hinwegsetzen? Und wenn er es tut, ist er dann ein Held oder ein Mörder? Um diese Frage dreht sich das mitreißende Schauspiel „Terror“ von Ferdinand von Schirach, das jetzt vom Stadtkulturbund auf die Bühne im Forum Corneliusfeld gebracht wurde. Es rüttelte auch hier die Zuschauer mächtig auf. Selten wurde in der Pause so heiß diskutiert, wie das diesmal der Fall war.

Am Ende dürfen die Zuschauer, die als Schöffen in der als Gerichtsverhandlung konzipierten Handlung fungieren, selbst abstimmen. Die Handlung: Ein Kampfpilot der Bundeswehr, Major Lars Koch, wird wegen Mordes angeklagt, weil er entgegen allen Befehlen seiner Vorgesetzten eine Airbus-Passagiermaschine abgeschossen hat. Er wollte damit verhindern, dass ein islamistischer Terrorist die Maschine in die Münchner Allianz-Arena steuert, in der gerade das Fußball-Länderspiel Deutschland gegen England stattfindet. 70 000 Menschen müssten eventuell sterben, wenn dem Islamisten sein teuflischer Plan gelingt.

Dem international erfolgreichen Autor Ferdinand von Schirach, selbst Strafverteidiger, gelingt ein bewegendes Schauspiel, bei dem vor Gericht alle Facetten eines Geschehens durchgespielt werden. Alles dreht sich um die Frage, ob der Offizier durch sein eigenmächtiges Handeln Passagiere zu Objekten gemacht und Menschenleben gegen Menschenleben aufgerechnet hat und ob man ihm dies durchgehen lassen kann.

Auf Anhieb ist wohl jeder Zuschauer bereit anzuerkennen, dass er die Menschen im Flugzeug opfern durfte — die ja ohnehin gestorben wären, wäre die Maschine in das Stadion eingeschlagen — weil er dadurch vielfaches Sterben verhindern konnte — so der Verteidiger.

Dann aber plädiert die Staatsanwältin mit der Argumentation des Bundesverfassungsgerichts. Das hatte im Februar 2005 entschieden, das im Jahre 2005 in Kraft getretene Gesetz zur Erhöhung der Luftsicherheit, das den Abschuss eines von Terroristen entführten Flugzeugs erlaubte, verstoße gegen das vom Grundgesetz garantierte Grundrecht auf Leben und gegen die Menschenwürde. Wenn es aber der Verfassung widerspricht, unschuldige Menschen zu opfern, um unschuldige Menschen zu retten, dann dürfe nie Leben gegen Leben gerechnet werden.

Beide Argumentationen haben viel für sich, am Ende entscheiden die Zuschauer, indem sie durch zwei verschiedene Abstimmungstüren gehen, ob der Angeklagte schuldig oder unschuldig ist. In St. Tönis entsprach das Ergebnis dem, was es weit überwiegend in den meisten Spielstätten gibt: Die meisten (323 Stimmen) waren für unschuldig, 148 dagegen für schuldig.

Der Autor hat für dieses Stück zwei Schlussszenen geschrieben: Je nachdem, wie das Publikum entscheidet, wird die eine oder andere Version gespielt. Bis es zur Abstimmung durch die Publikums-Schöffen kommt, schafft ein ausgezeichnetes Ensemble — allen voran der von TV und Film bekannte Johannes Brandrup als souveräner Vorsitzender Richter —, eine völlig authentische Gerichtsverhandlung aufzubauen. Die Charaktere sind hervorragend besetzt: Lars Koch wird gespielt von Christian Meyer, Annett Kruschke ist eine nicht sehr sympathische Staatsanwältin, Christoph Schlemmer ein jovialer, etwas schusseliger Verteidiger, Tina Rottensteiner eine zu Tränen gerührte Nebenklägerin und Peter Donath ein glaubwürdiger Zeuge. Unter der Regie von Thomas Goritzki läuft ein anrührendes Drama ab, das das Publikum mucksmäuschenstill werden ließ. Umso mehr wurde am Rande diskutiert.