Schläpfer-Weggang kann eine Chance sein
Wie geht es am Ballett am Rhein nach der Ära Schläpfer weiter? Die einstigen Tänzer Falco Kapuste und Wolfgang Enck blicken skeptisch in die Zukunft.
Düsseldorf. „Chef gesucht!“, heißt es derzeit im Ballett am Rhein. Einen Nachfolger für Martin Schläpfer, der ab 2020 Wien den Vorzug gibt. Staatsopern-Ballett, Volksoper, Ballettschule inklusive. Ein großes Ensemble von über 100 Tänzern (in Düsseldorf derzeit 42), das besonders für klassisches Repertoire steht. Genau das, womit der scheidende Choreograph und Spezialist für Neoklassik auf Kriegsfuß steht. Zumindest, als er 2009 in Düsseldorf antrat, hat sich Schläpfer den berühmten Tschaikowski-Handlungsballetten verweigert, um sich künstlerisch in der Neoklassik weiterzuentwickeln. Er engagierte nur Tänzer, die zu seinem Stil passen, und hat mit ihnen einige große Würfe beschert. Aber: „Dornröschen“ oder „Nussknacker“ enthielt er dem Publikum vor, trotz stetiger Nachfrage von Ballettfans und aus Reihen des Ballett-Freundeskreises.
Seltsam ist es schon, dass er ausgerechnet kurz nach einer eigenwilligen „Schwanensee“-Fassung, Marke Schläpfer, ohne Schwäne und ohne See (Premiere war Anfang Juni), nun sein längst abgeschlossenes Wien-Engagement offenbart. Um dort auch die Klassik zu pflegen. Mit Respekt vor der Tradition, wie er sagt.
Verdrängt hat der neoklassische Avantgardist, dass Düsseldorf/Duisburg ebenso auf eine 50-jährige Tradition des Klassischen Repertoires zurückblicken konnte, bevor er kam. Das sagen zumindest die ehemaligen Tänzer und Ballettmeister Falco Kapuste und Wolfgang Enck, die in den 1970ern an den Rhein kamen und 40 Jahre Düsseldorfer Tanzgeschichte mitgestalteten und erlebten. Sie machen sich im Gespräch mit unserer Redaktion Sorgen um die Zukunft des Rhein-Balletts.
Kann der Weggang von Martin Schläpfer eine Chance sein?
Falco Kapuste Auf jeden Fall. Sicherlich hat Schläpfer seine Verdienste und Enormes geleistet. Aber seine Vorgänger (Erich Walter, Heinz Spoerli und Youri Vamós) haben modernen Tanz weiterentwickelt, z. B. wurden Hans von Manen oder Jiri Kylian von allen eingeladen, dazu Schwergewichte wie Uwe Scholz und John Neumeier bei Youri Vamós), und parallel dazu klassisches Repertoire gepflegt. Dass das funktioniert, beweisen außerdem seit Jahrzehnten Hamburg, Stuttgart, München, Berlin. Wenn jetzt nicht klug geplant wird und jemand kommt, der mit der Kompanie wieder beides anbietet, besteht die Gefahr, dass klassisches Ballett endgültig aus Düsseldorf und Duisburg verschwindet. Das ist in anderen Städten (wie in Köln) ähnlich gelaufen. Da gibt’s längst keine Ensembles mehr.
Sollte das Angebot also breitgefächert sein?
Wolfgang Enck Unbedingt. Vergleichen Sie das mit der Oper! Wie wäre es, wenn nur zeitgenössische Musikdramen zu sehen wären? Kein Mozart, kein Verdi, Puccini oder Wagner?
Warum ist klassisches Repertoire so wichtig?
Falco Kapuste Erstens weil die Nachfrage an der Opernkasse — nicht nur, aber besonders vor Weihnachten — groß ist. Noch vor der Premiere von Schläpfers „Schwanensee“ waren sämtliche Vorstellungen sofort ausverkauft, obwohl manche jetzt enttäuscht sind, dass keine weißen Akte zu sehen sind. Zweitens: Die Klassik ist das Maß aller Dinge. Wenn Tänzer das beherrschen, können sie schnell zu zeitgenössischen Genres wechseln. Umgekehrt geht das nicht. Erfahrungen im modernen Ballett können aber Tänzer auch im klassischen Repertoire bereichern.
Legen nicht alle Choreographen, auch Schläpfer, großen Wert auf klassische Technik?
Wolfgang Enck Ja, sogar Pina Bausch bestand auf gute klassische Ausbildung. Und junge Tänzer haben im Vergleich zu früher eine brillante, fast atemberaubende Technik, drehen Pirouetten ohne Ende und haben athletische Sprungkraft wie nie zuvor.
Schläpfer sagte, er habe keine Tänzer für das Repertoire. Stimmt das?
Falco Kapuste Nur zum Teil. Sie sind besser denn je, wurden aber von Schläpfer nicht auf klassischen Stil trainiert oder darauf, auch einmal in einer Reihe zu tanzen.
Schläpfer und Direktor Sucheana reduzierten die Zahl der Tänzer (auf 42), angeblich, weil mehr Techniker und Assistenten gebraucht werden.
Wolfgang Enck Ja, es ist problematisch, ausgerechnet an den Ausführenden zu sparen, zumal Schläpfer keine international hoch gehandelten Tänzer mehr durch Gagen locken konnte. Er hat 2009 die Hierarchie abgeschafft, auch um zu sparen. Bei ihm heißen alle ‚Solisten’.
Wie soll es weitergehen mit dem Ballett am Rhein?
Falco Kapuste Zehn Jahre Schläpfer waren eine gute Zeit, auch weil die Stadt alle seine Wünsche erfüllt hat (Beispiel: Balletthaus für knapp 30 Millionen Euro). Die systematische Pflege der Klassik fehlte. Sie hätte den anderen Stücken auch gut getan. Jetzt muss es aber einen Neuanfang geben. Empfehlenswert wäre ein jüngerer eventuell auch moderner Choreograph, der sich entwickeln kann, gleichzeitig das klassische Repertoire pflegt.
Wäre ein Ballettdirektor möglich, der, wie Christoph Meyer in der Oper, nicht inszeniert, sondern spannende Choreographen einlädt, die in verschiedenen Genres arbeiten?
Wolfgang Enck Ja. Das kann gut funktionieren. Wie in München unter Ivan Liska. Was haben sie an Schläpfer besonders geschätzt? Seine starke Rhetorik und die Kraft, Politiker zu überzeugen. Unvergessen sein Plädoyer „Der imaginäre Raum Bühne muss erhalten bleiben.“