Inszenierung einer Groteske „Tartare Noir“: Schlachtfest am Deutschen Schauspielhaus

Hamburg (dpa) — Parolen wie „Ekel“, „Kadaver“ und „Wir sind alle Kannibalen“ stehen fettgedruckt im Programmheft. Verbunden etwa mit einem Text des Soziologen Niklas Luhmann über gesellschaftliche Heuchelei.

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Das alles lässt kaum auf Gediegen-Erbauliches für die Aufführung auf der Bühne hoffen. Und so kommt es denn auch. In ihrer Groteske „Tartare Noir“ inszeniert Intendantin Karin Beier am Deutschen Schauspielhaus Hamburg im imposanten Rahmen eines einstürzenden Mietshauses ein schrill perverses, ausuferndes Schlachtfest. Bei dem das Blut nur so spritzt und Menschen in einem überdimensionalen Fleischwolf landen. Das alles wird in den Dialogen als Zustandsbeschreibung Europas dargeboten.

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Bei der Uraufführung zum Saisonstart am Freitagabend erhielten Beier und ihr zwölfköpfiges Ensemble vom Publikum dafür eher nach Höflichkeit klingenden Applaus. Vereinzelt gab es auch Bravorufe. Laut Ankündigung setzt Beier mit der musikalisch aufgepeppten Produktion ihre „lustvolle Auseinandersetzung mit den politischen Fragen der Gegenwart fort“. Vorgänger waren „Schiff der Träume“ (2015) nach Fellinis Film und „Hysteria — Gespenster der Freiheit“ 2016. Für „Tartare Noir“ greift die Regisseurin auf Motive des Groschenromanautors Thomas Peckett Prest (1810-1859) zurück.

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Erster Eindruck ist ein über drei Etagen verschachteltes Gebäude mit gläsernen Wänden, hinter denen die Bewohner noch schnarchend und pupsend schlafen - die großartige Ausstattung stammt von Johannes Schütz. Langsam dämmert der Tag, und ein seltsam verpenntes Treiben der letztlich isoliert voneinander existierenden Personen beginnt. Ein Mann (Jan-Peter Kampwirth), der mit einem Huhn haust, hat Telefonsex mit seiner Nachbarin (Angelika Richter), die zugleich als Tagebuch schreibende Erzählerin durch den Abend führt. Eine ultrafette Familienmutter (Ute Hannig) im giftgrünen Morgenrock putzt sich die Zähne und spuckt den Schaum vom Balkon.

Ganz oben nimmt eine Asiatin (Sachiko Hara) mit blondierten Locken selig lächelnd ein Schaumbad. Es ist die Besitzerin des verkommenen Mietobjekts. Und ein Schlachter (Ernst Stötzner) haut auf seine Schlachterbank und zerlegt Fleisch. Das er anschließend vor seiner unappetitlichen Theke an seine Mitbewohner verkauft. „Hackfleisch ist Medizin gegen die ganze Vereinzelung unserer Kultur — besonders in Form von Tartare mit Ei“, schreit er. Der sich routiniert abspulende Alltag nimmt jedoch eine Wendung, als auf seinem Motorrad ein junger Mann (Lars Rudolph) aufkreuzt, der einen annoncierten Hausmeister-Job annimmt.

Bald stellt sich heraus, dass ein Bein des Nachbarn Horst (Michael Wittenborn) verhackstückt und bei einem Grillfest zu Ehren des Neuankömmlings verspeist wurde. Denn bei Tierfleisch gibt es Lieferprobleme. Richters Erzählerin Edith, mit ihrer Brille die Intellektuelle des Stücks, durchschaut allmählich das böse Spiel und empört sich. Doch auch sie kann dem köstlichen Duft nicht widerstehen und nascht vom Gebratenen. In Abweichung vom ersten Teil gerät der zweite des Abends zur Kochshow, bei der das Publikum auch direkt angesprochen wird. Derweil wird das Miteinander von Besitzerin und Bewohnern immer barbarischer. „Das ist Natur. Das ist Fressen und gefressen Werden“, analysiert der Schlachter messerscharf. Am Ende fällt das Haus auseinander und das Rohr bricht. So steht schließlich allen das Wasser bis zum Hals.