Theater: Kabale und Liebe - Prickelnde Brause
Andreas Kriegenburg macht aus Schillers bürgerlichem Trauerspiel einen spielerisch leichten Liebesreigen.
Düsseldorf. Ein weißer Raum jenseits von Ort und Zeit. Seidige Stoffbahnen flattern im stetigen Wind der Ventilatoren, sind mal Tunnel oder Höhle, Himmel, Gefängnis oder Gummizelle. Das Ereignis des Abends ist eigentlich das Bühnenbild.
Regisseur Andreas Kriegenburg, der in Düsseldorf Schillers "Kabale und Liebe" auf die große Bühne brachte, hat den Raum selbst geschaffen. Die wandelbare Bühne weckt Assoziationen, gibt der Inszenierung eine spielerische Leichtigkeit und nimmt dem bürgerlichen Trauerspiel so etwas von der Tragik.
Trotz der traumhaften Kulisse müssen sich die beiden Liebenden Ferdinand und Luise mit der harten Realität auseinandersetzen: Sie gehören unterschiedlichen Schichten an und dürfen nicht zueinander kommen.
Das weiß schon allein der strenge Vater Ferdinands, Präsident von Walter, zu verhindern, dem Matthias Leja trotz aller Albernheiten eine gefährliche Aura verleiht. Er ist ein brutaler Machtmensch, der gemeinsame Sache mit dem androgynen Hofmarschall von Kalb (hier eine Frau: Katrin Röver) macht. Sekretär Wurm, den der Präsident für allerlei Intrigen benutzt, ist mit Daniel Graf und Thiemo Schwarz gleich doppelt besetzt.
Mal agieren sie wie im Spiegel, mal führen sie ein Eigenleben: Diese Idee, die "Angst vor der Individualität" und "Eigenverantwortung" versinnbildlichen soll, wie es Kriegenburg im Programmheft erklärt, scheint doch etwas verkopft. Immerhin sorgen die beiden Wurms für allerlei komisch-clowneske Momente, die einen Kontrast zur tragischen Liebe von Ferdinand und Luise setzen.
Daniel Christensen, der ab kommender Spielzeit fest zum Düsseldorfer Ensemble gehört, leidet als Ferdinand leidenschaftlich - ein junger, manchmal auch zerstreut wirkender Trotzkopf, der gegen den Vater aufbegehrt und auch seine Mittel gegen ihn nutzt.
Er soll standesgemäß Lady Milford (Xenia Snagowski) heiraten, eine kesse Upperclass-Lady, die ihre Überlegenheit nicht immer auszuspielen weiß.
Ferdinand liebt jedoch die bürgerliche Luise (Janina Sachau). Ohne Worte reicht er ihr sein Herz, sie wiederum will sich immer und immer wieder von der Hand des Vaters (Götz Schulte) losreißen: stumme Szenen, die ans Tanztheater erinnern.
Ferdinands unbedingte und unbeirrbare Liebe steht als Prinzip gegen eine Gesellschaft, die ihre Moral schon längst verloren hat. Luise ist ihr Opfer und muss am Ende sterben.
In einem wunderbar poetischen Moment schlürfen sie gemeinsam Brause aus der Hand - eine Szene die sich am Ende eindrucksvoll wiederholt, wenn Ferdinand seiner Geliebten das Gift reicht.
Kriegenburg, Oberspielleiter am Thalia Theater Hamburg, verschränkt teilweise die Szenen und verändert die Chronologie. Ein permanenter Klangteppich von Ingo Schröder, live mit dem E-Bass und vom Band eingespielt, begleitet den Abend.
Zunächst gelingt es der Musik, den Rhythmus der Sprache sinnvoll zu verstärken und atmosphärische Dichte zu erzeugen. Doch da es fast keine Pausen gibt, würde man sich ein paar Momente der Stille wünschen.
Nur konsequent ist es dann, dass Luise, nachdem sie das Gift geschluckt hat, den Musiker bittet: "Spiel weiter, ich möchte nicht in der Stille sterben." Am Ende gibt es keine Erlösung im gemeinsamen Tod. Ferdinand bleibt allein zurück und fragt verzweifelt: "Warum fühle ich nichts?"
Puppenspiel, Schattenriss, Schleiertanz und Tanztheater: Die Inszenierung Kriegenburgs beeindruckt durch die spielerische Fülle der Mittel und Ideen, den Umgang mit der Sprache, doch ein Gesamtkonzept kristallisiert sich nicht wirklich heraus.
Dank der gelungenen Darsteller wird aber doch ein sehenswerter Theaterabend daraus. Jubel für Schauspieler und Regie.