Verzicht als Kunst-Gewinn
Carol Pilars de Pilar macht aus der Armut eine kreative Tugend und formt wilde, dürre Hunde.
Düsseldorf. Die Bildhauerin Carol Pilars de Pilar hat ein Lieblingsthema, und das ist der frei lebende Hund. Im Gegensatz zu einem Haushund wisse er nie, wann er etwas zu fressen bekomme.
"Der Haushund lebt in einem Kuschelparadies. Beim streunenden Hund geht es um den Existenzkampf, aber auch um die Freiheit." Carol Pilars de Pilar liebt diese Unabhängigkeit - auf Kosten einer wirtschaftlichen Sicherheit.
Ihre Werke entsprechen ihrem Freiheitsdrang: "Ein Hund, der niemandem gehört, geht ja auch manchmal ein bisschen betteln, wenn es gar zu schlimm wird", sagt sie. In ihrem Düsseldorfer Atelier hat sie einen dicken Stock an der Wand befestigt.
Darauf sind zwei Vierbeiner aus gebranntem Ton in der laufenden Bewegung festgehalten. Ein paar Zentimeter zu weit von der Wand entfernt, und die Tiere würden abstürzen und zerschellen. So aber, da oben auf dem Ast, leicht angelehnt an der Wand, schaffen sie die Balance.
"Es ist ein schmaler Grat zwischen der Freiheit und dem Absturz. Aber darin, in dieser Spannung, liegt der Reichtum." Es ist ein Vermögen symbolischer Art, er hat mit den üblichen Zahlungsmitteln nichts zu tun.
"Die Menschen sind es gar nicht mehr gewöhnt, selbstbestimmt zu leben und zu denken. Sie haben Gewährleistungen und Haftungen, Geld, Versicherung und Verpflegung. Wer sich zu sehr schützt, hat Angst, dass diese Sicherheit eines Tages verloren gehen könnte. Der Verzicht kann einen großen Gewinn bringen."
Carol Pilars de Pilar ging 1975 mit 16 Jahren nach Südafrika, lebte in einer weißen Familie und besuchte die Schule. Sie lernte nicht nur Vokabeln, sondern auch die Bewegungen der Afrikaner, ihre Musik und ihren Tanz kennen. Das Gefühl, mit dem ganzen Körper etwas auszudrücken, faszinierte sie.
Nach dem Abitur, 1980 in Bonn Bad Godesberg, verabschiedete sie sich zum zweiten Mal von Deutschland und lebte in Florenz, wo sie bei einem Restaurator arbeitete und für Antiquitätenläden Bilder aus der Renaissance wiederherstellte.
Anschließend absolvierte sie ein zweijähriges Praktikum im Düsseldorfer Restaurierungszentrum und behielt den Job als Restauratorin jahrelang bei, weil er eine gute Einnahmequelle war.
Die Kunst entstand nebenbei. Bis sie merkte, dass dies nicht geht. "Man kann nicht im Dienste der Kunst sein Geld verdienen und gleichzeitig schöpferisch frei sein. Ich musste selbstständig handeln, mein Leben neu organisieren."
Sie duldete aber auch nicht diesen "Opfer-Ton, den arme Künstler leicht annehmen, wenn sie von ihrer Kunst nicht leben können." Sie wollte stark sein.
Am Ende der 90er Jahre schuf sie Zelte. Sie entstanden aus Zeitungen, die sie so lange einweichte, bis sie zu einer grauen Pappmaché-Masse wurden. "Es hatte etwas von der Haut eines Elefanten", sagt sie. So eine Stärke möchte sie haben, damit der Mammon keine Rolle spielt.
In einer Düsseldorfer Halle im Gewerbegebiet an der Fichtenstraße zeigte sie lange Kähne aus Keramik. Sie standen auf dem Boden. Wie leere Gefäße sahen sie aus.
Sie hatten keine Lasten und Ladungen, sondern nur eine Art Hütte. "Ein Schiff ist das Sinnbild für eine Überfahrt, und die Hütte ist ein Urbild für den Schutz, den der Mensch braucht. Es ist immer ein Balancespiel."
Warum sie mit Ton arbeite? "Beim Ton weiß man nie genau, was dabei herauskommt. Er ist ein flexibles Material, bevor er gebrannt wird."
Carol Pilars de Pilar brennt in ihrem kleinen Ofen, und sollte sie jemals viel Geld haben, würde sie in einem großen Ofen in Köln brennen, und einen großen, streunenden Hund schaffen.
Sie glasiert die Tonskulpturen, aber nicht komplett: "Es ist nur eine Teil-Glasierung. Wollte man die Hunde gänzlich glasieren, würde man sie wieder verpacken."