WZ TV zur Uraufführung: Pina Bauschs neue Frauen
Das Stück der Wuppertaler Choreografin zeigt strahlende Tänzerinnen, die sich von Männern unabhängig gemacht haben.
Wuppertal. Das Mädchen kniet auf allen Vieren. Verstört blickt es vor sich hin. In seinem weißen Nachthemd erinnert es an die selbstverlorene Gestalt in "Café Müller", die die fast 69-jährige Pina Bausch noch immer selber tanzt. Zwei Männer kommen hinzu, wollen helfen. Sie heben die Tänzerin hoch, doch sie schreit los wie traumatisiert.
Eine Szene, wie wir sie aus den frühen Stücken der weltberühmten Wuppertaler Choreografin kennen. Sie wird am Ende wiederholt und rahmt die erste Uraufführung im renovierten Opernhaus ein wie eine mahnende Erinnerung. Denn inzwischen scheinen die Frauen psychisch gesundet. Auf die Zeiten des Kriegszustandes zwischen Mann und Frau folgte Ende der 90er-Jahre die Versöhnung im Wellness-Paradies.
Im - wie üblich - noch titellosen neuen Stück 2009 haben sich die Frauen unabhängig gemacht. Der Mann: das überflüssige Wesen. Widmete Pina Bausch ihre Arbeit im vergangenen Jahr noch der reiferen Weiblichkeit, dominiert diesmal die jüngere Generation.
Das Lächeln hat sich verändert. Früher verband es erotische Herausforderung mit Unnahbarkeit, heute signalisiert es Coolness, geschäftsmäßige Überlegenheit.
Wenn Azusa Seyama von Fernando Suels Mendoza mit einem roten Band traktiert wird, wickelt sie dieses wie ein weiblicher James Bond um ihre Wade und tritt ihn vor das Schienbein. Morena Nascimento, beeindruckend als Neuzugang in der Kategorie Vollweib, reißt zwei Männern die T-Shirts vom Leib. Dann lässt sie sie Liegestütze machen, während die Tänzerin auf ihren Rücken triumphierend posiert.
Eine strahlende Asiatin tanzt mit einer Trophäensammlung aus lauter Herrenhemden um die Hüften gebunden, ein zufriedenes Spielkind. Entsprechend hat Marion Cito den Frauen herrliche Kleider in bunten Farben und edlen Stoffe angezogen, die Männer hingegen dunkel eingekleidet.
Das neue Bausch-Stück ist eine Koproduktion mit Chile, wo das Ensemble im Februar Eindrücke sammelte. Mit dem südamerikanischen Land hat der Abend allerdings nur wenig zu tun. Es sei denn, Peter Pabsts an eine Eisfläche erinnernder Tanzboden wurde von einem Naturerlebnis in den Anden inspiriert. Warum das Eis immer wieder gefährliche Risse zeigt, erschließt sich allerdings nicht.
Ansonsten lächelt ein Tänzer in Poncho und Wollsocken freundlich, während Anna Wehsarg an einem meterlangen Schal strickt. Ein Mann wirft Kartoffeln, Mädchen fangen sie mit ihren bunten Röcken auf. Und aus einem Solo von Dominique Mercy könnte man den Putsch der Generäle und die Brutalität des Pinochet-Regimes herauslesen.
Der Franzose, seit 1973 im Ensemble, ist diesmal der einzige Altstar. Er tanzt den Vater-Sohn-Konflikt, gibt den Liebhaber mit Lebenserfahrung. Gelassen wandert er durch die Szenen, lächelt über das Verhalten der geschlechtsreifen Großstädter, gleitet in seinen raumgreifenden Bewegungen dahin.
Pina Bausch konzentriert sich wieder auf kleine Szenen und Soli, meist von schwebender Eleganz. Ensembles gibt es wenige, dafür besonders schöne. Ihre Phantasie schlägt sanfte Purzelbäume, wenn alle 16 Tänzer in einer Schlange hintereinander am Boden sitzen und sich durch die Haare streichen.
Hinreißend, wenn Frauen und Männer getrennt bäuchlings zwei bewegte Fresken bilden. Köpfe, Hände, Arme - der ganze Oberkörper tanzt. Erstaunlich, welch delikate Bewegungen der großen Choreografin eingefallen sind. Das Publikum feierte seine Ikone und eine wunderbare Compagnie. Wie es sich gehört.