Hannibal Rising: Als der Kannibale Blut leckte

Stilvolle Schauermär: „Hannibal Rising“ entzaubert das Monster Hannibal Lecter als Opfer traumatischer Kindheitserlebnisse.

Düsseldorf. Eigentlich müsste Anthony Hopkins seinen Oscar zurückgeben. Gerade mal 19 Minuten ist er in "Das Schweigen der Lämmer" zu sehen, zu kurz, um von einer Hauptrolle sprechen zu können. Trotzdem lebt sein Hannibal Lecter im kollektiven Bewusstsein als filmischer Inbegriff des Bösen. Seine Motive bleiben im Unklaren. Und genau das löst den Schauder aus, der einen packt, wenn man das lectersche Zungenschlürfen hört, dabei Hopkins’ geweitete Pupillen vor Augen hat, die sich starr am nächsten Opfer festbeißen - im wahrsten Sinne des Wortes

Dieses in bislang vier Filmen geschürte Mysterium zu entzaubern, grenzt an mutwillige Demontage. Lecter-Schöpfer Thomas Harris hat sich trotzdem daran gewagt. In "Hannibal Rising" räumt er mit sämtlichen Spekulationen über das schlachtende Genie auf: Lecters Unberechenbarkeit, seine Gnadenlosigkeit, seine kulinarische Lust an menschlichem Fleisch, gleichzeitig aber sein geschliffener Geist, sein Sinn für Ästhetik und seine Schwäche für jene Art von Frauen, deren Zerbrechlichkeit direkt unter der kontrollierten Fassade kauert. Das alles wird anhand seiner Kindheit psychologisch genauestens analysiert.

1944: Hannibal wächst behütet als Sohn litauischer Aristokraten auf. Nachdem seine Eltern auf der Flucht vor den Nazis ums Leben gekommen sind, fallen der zehnjährige Junge und seine kleine Schwester Mischa in die Hände abtrünniger Söldner. Vom Hunger getrieben überredet deren Anführer Grutas (Rhys Ifans) seine Gefährten, die Kinder zu essen. Hannibal muss mit ansehen, wie Mischa geschlachtet wird. Den eigenen Tod durch Kannibalismus verhindern die nahenden russischen Truppen, doch die meisten der Söldner entkommen.

Das lässt Hannibal keine Ruhe. Mit 17 reist er zu seinem Onkel nach Paris, findet allerdings nur dessen Witwe, Lady Murasaki (Gong Li), vor. Unter ihrem Protektorat reifen, zunächst ohne ihr Wissen, Lecters Rachegelüste zu konkreten Plänen heran.

Der 22-jährige Hauptdarsteller Gaspard Ulliel macht den Zuschauer zum Mittäter. Selbst nachdem längst klar ist, dass Hannibals Vergeltungsschläge einem krankhaften Tötungsdrang und weniger dem nachvollziehbaren Vergeltungswillen entspringen, bleibt er die Identifikationsfigur. Das wirft geschickt die Frage auf, in wie weit Selbstjustiz moralisch zu rechtfertigen ist. Verzweifelt wünscht man sich den unschuldigen Jungen zurück, der in der Rückblende vergeblich versucht, seine Schwester vor den Monstern zu retten. Stattdessen muss man zusehen, wie Hannibal, ein Kinderlied auf den Lippen, sich mit animalischem Genuss das Blut vom Mund wischt.

Harris hat tief in die Trickkiste menschlicher Urängste gegriffen. Trotzdem ist die Bebilderung der Todesmomente erträglich, vor allem, weil die Inszenierung von Peter Webber auf künstliche Verfremdung setzt. Hannibals Rachefeldzug wirkt wie die Aneinanderreihung schwerer Ölgemälde, Rembrandts "Anatomie des Dr. Tulp" oder Hieronymus Boschs "Garten der Lüste" standen wohl Pate bei dieser opulenten Fleischbeschau. Schwerfällig ist der Film deswegen nicht.

Darsteller: Gaspard Ulliel (Hannibal Lecter), Gong Li (Lady Murasaki), Rhys Ifans (Grutas), Dominic West (Inspecteur Popil), Kevin McKidd (Kolnas), Richard Brake (Dortlich)