Jubel für Shakespeares „König Lear" in 105 Minuten im Düsseldorfer Schauspielhaus Psychodrama kurz und knackig

DÜSSELDORF · Düster ist es auf der großen Bühne im Düsseldorfer Schauspielhaus. Nur selten schimmern Lichtstrahlen vom goldenen Gotik-Fries in den Thronsaal der mittelalterlichen Burg (Dekor: Etienne Plüss): Hier herrscht der betagte King Lear, der das Alter spürt und sein Reich unter drei Töchtern aufteilen will.

Anne Müller und Hauptdarsteller Burghart Klaußner auf der Bühne im Düsseldorfer Schauspielhaus.

Foto: Thomas Rabsch

Fatal nur, dass der Alte sich von den buckelnden Schmeicheleien von Goneril und Regan täuschen lässt, ihnen das Reich vermacht. Ihnen auf Gedeih‘ und Verderb‘ ausgeliefert ist.

Er verstößt Cordelia, seine Jüngste und von ihm besonders geliebte. Sie liebt ihren Vater zwar, verzichtet aber auf die unterwürfigen Liebesbekundungen ihrer Schwestern. Die Liebe zu ihrem Vater sei nicht die einzige, die in ihrem Herzen Platz habe, gesteht sie ehrlich. Doch kaum haben Goneril und Regan das Zepter in der Hand, gerieren sie zu emotionalen Hyänen, schikanieren den Alten, versetzen ihm so herbe Fußtritte, dass sich Lears Geist vernebelt und er wahnsinnig wird.

Kaum ein anderes Drama von Shakespeare mündet – wie „König Lear“ – für die meisten Protagonisten im Tod. Von denen – im Original etwa 20 Figuren – bleiben zwar in der neuen Düsseldorfer Inszenierung nur sieben übrig. Den zweiten Handlungsstrang mit den Söhnen des Grafen Gloster streicht Regisseur Evgeny Titov komplett. Er reduziert den ‚Lear‘ auf das „Wesentliche“, wie er sagt. Auf die drei Schwestern, den greisen König und seinen Narren. Da mögen eingefleischte Shakespare-Fans ja rebellieren.

Aber seit Jahrzehnten kürzen Regisseure den Fünfakter, gilt doch das Lear-Original mit seinen verwirrenden Neben-Schauplätzen und Figuren-Tableau beinahe als nicht aufführbar. Und: Sein großes Bühnen- und Opern-Talent, seinen markanten, wenn auch eigenwilligen Shakespeare-Zugriff bewies Titov bereits in Düsseldorf in den letzten Jahren mit den mörderischen Königsdramen „Macbeth“ und „Richard III.“ Als verdichtete Psychodramen halten sie sich bis heute als Kassenschlager.

Ähnliches ist zu erwarten beim ‚Lear‘, zumal der große Burghardt Klaußner – auch Film und Fernsehstar – die vielen Gesichter des greisen Königs hautnah über die Rampe bringt. Zuerst der weise alte Mann, der zeitig sein Haus bestellen will und sein Reich aufteilt. Ebenso beleuchtet Klaußner die Charakter-Schwäche des Lear, der auf die affektierten Liebes-Parolen der beiden eisigen Töchter in steifen Krinolinen und Hüftkrausen (Jenny Schily und Friederike Wagner) reinfällt und sie nicht als Lippenbekenntnisse enttarnt. Berührende Szenen gelingt Klaußner im Dialog mit der quirlig tänzelnden Anne Müller als dem Hof-Narren: Er/sie versucht dem störrischen Königvater die bittere Wirklichkeit in fantasievollen Sprachbildern zu vermitteln.

Von der Gloster-Handlung bleibt bei Titov nur Edmund, der uneheliche Sohn des Grafen, übrig. Seine Minderwertigkeitskomplexe versucht er auszugleichen durch schurkenhafte Geschmeidigkeit. Zunächst steht Edmund (in Gestalt von Valentin Stückl) als artiger Bräutigam neben Lears Lieblingstochter Cordelia, löst sich aber aus ihrer Hand, sobald der sture Lear sie verstößt. Und nähert sich anzüglich in Gigolo-Manier den beiden Erbinnen. Mit den Reizen eines muskulösen Modell-Athleten verzaubert Edmund (Stückl) die Machthaberinnen, kriecht unter ihre Röcke, macht sie verrückt. Plötzlich fordert der Aufsteiger Edmund, der vom Untergang anderer profitiert, sein „Drittel“ vom Reich und setzt sich in Adamskostüm auf Lears Thron.

Zuvor reibt er sich noch Cordelias Blut von den Händen. Er mordete die Tochter, die sich bis zum Schluss um den schwächer werdenden Vater kümmert. Leider fallen diese Szenen Lear und Cordelia sehr kurz aus. Wesentlich plastischer indes Goneril und Regan: Jenny Schily und Friederike Wagner spielen sie als berechnende, machtbewusste Politikerinnen, die über Leichen gehen. Zunächst in Witwen-Schwarz, später in brautweißen Gewändern, die an Shakespeare-Zeit erinnern (Kostüme: Esther Bialas).

Fazit: Jubel und Applaus für starke Bilder in einem berührenden „King Lear“ mit TV- und Filmstar Burghart Klaußner. Kurz und Knackig in 105 Minuten. Pausenlos.