Ovationen im Düsseldorfer Schauspielhaus für das spannende Theaterstück „Ellen Babic" von Marius von Mayenburg Zwischen Boulevard und Psycho-Thriller

DÜSSELDORF · . Einladend schaut das rote Sofa aus. Auf den ersten Blick: ein trautes Heim. Weniger heißt es aber: Glück allein… – für die Lehrerin Astrid und ihre Freundin Klara, die vor 14 Jahren ihre Schülerin war und seitdem mit ihr zusammenlebt; in einer schicken Stadtwohnung.

Scheinbare Idylle: Pauline Kästner (l.) und Claudia Hübbecker.

Foto: David Baltzer

Leicht angespannt ist die Lage zwischen den beiden, denn Astrids Direktor Wolfram hat sich angesagt. Obwohl Astrid nicht müde wird, zu behaupten, es sei ein rein privater Besuch, traut ihre Geliebte dem Braten nicht. Sie wittert Gefahr. Man ahnt: Manche komplizierte Konstellationen können sich ergeben – in „Ellen Babic“, dem gleichnamigen Stück von Marius von Mayenburg, dessen Premiere (in der Inszenierung von Anton Schreiber) im Düsseldorfer Schauspielhaus mit Ovationen gefeiert wurde. Jubel besonders für die Mimen Claudia Hübbecker (Astrid), Florian Lange (Wolfram) und Pauline Kästner (Klara).

Der Autor von Mayenburg, Jahrgang 1972, liebt boulevardeskes Geplänkel, aus dem plötzlich existenzielle Abenteuer mit scheinbaren Verwerfungen erwachsen können. Zwischen allen Charakteren. So überrascht es wenig, dass er im Laufe von pausenlosen zwei Stunden leichte Kost im Stil gehobenen Boulevard-Theaters serviert. Streckenweise mit Tiefgang und Nervenkitzel, versteht sich. Die Dialoge zwischen den Dreien drehen sich anfangs um allzu banale Problemchen. Und kommen in eleganter Oberflächlichkeit daher. Dank der pointensicheren und straffen Typen-Regie von Schreiber und dem Dekor einer Vorabend-Serie mit rotem Sofa (Susanne Hoffmann).

Sobald Schuldirektor Wolfram die gute Stube betritt, fegt durch die Tür die Böe von pfeifenden Herbst-Winden. Als Vorbote für stürmische Entwicklungen: Durch Wolframs Anwesenheit bekommt die scheinbare Idylle erste Risse. Auch zwischen den Frauen. Obwohl er zunächst mit Astrid einen Wein schlürft und auf den ersten Blick ein harmloser Mann zu sein scheint – ein Musik- und Geschichtslehrer, der sich als empfindsame Künstlernatur sieht. Doch nach einer lässigen Bemerkung von Astrid rastet er unvermittelt aus. Wie ein gefährlich ruhiger Vulkan speit er (Meisterleistung von Florian Lange) aus dem Nichts Funken und Lavastücke. Das wirkt echt und nicht aufgesetzt.

So mutiert der eben unterhaltsame Theaterabend in eine Psycho-Szene. Eben noch schmunzeln die Zuschauer über den unbeholfenen Wolfram, der sich unter dem Gewand eines einfältigen Tollpatschs tarnt. Doch unvorbereitet offenbart Wolfram, der Jahrzehnte die schützende Hand über Astrid gehalten hat, seine wahren Gefühle, seine Sehnsüchte. Und will Rache für Schmach und die Zurückweisungen der attraktiven Kollegin, die nun mal auf Frauen steht. Alte Rechnungen sollen beglichen werden, indem Wolfram ihr seltsames Verhalten, während einer Klassenfahrt, der Behörde melden will. Schockstarre auch bei vielen Zuschauern. So nimmt das Wechselbad zwischen typenkomödiantischem Auftrumpfen und inneren existenzbedrohenden Kämpfen der Lehrerin Astrid seinen Lauf.

Jung-Regisseur Anton Schreiber landet auch durch seine Personenführung einen Coup: Er, bzw. Claudia Hübbecker, zeichnet das überzeugende Porträt einer anfangs selbstbewussten, beflissenen und schülerorientierten Studienrätin, die dienstlich befördert werden will. Plötzlich und unerwartet sieht sie sich dem Vorwurf sexuellen Missbrauchs gegenüber. Und ihr droht das berufliche Aus.

Ausgelöst scheinbar – und das kommt erst im weiteren Verlauf heraus – durch die Vorwürfe der Eltern der pubertierenden (titelgebenden) Schülerin Ellen Babic. Deren Eltern machten dem Schulleiter Wolfram seltsame Andeutungen: Astrid hätte die Schülerin betäubt und angeblich unsittlich berührt – in einer Jugendherberge während einer Klassenfahrt nach Trier. Genau dort, wo vor 14 Jahren der Funke zwischen Klara und Astrid übergesprungen ist. Eine Wendung, die indes ein bisschen konstruiert wirkt. Im letzten Teil der persönlichen Schlammschlacht zwischen Pädagogin und Direktor trumpft Astrid auf. Eine weitere Glanzszene von Hübbecker. Um ihren Kopf aus der Schlinge zu ziehen, spielt Astrid die Rächerin und will Wolfram erpressen – wegen seiner sexuellen Annäherungen ihr gegenüber. Jahrelang habe sie Notizen dazu gemacht, droht sie.

Fazit: ein (von Anton Schreiber) packend in Szene gesetztes Stück. Und eine virtuose Gratwanderung zwischen Boulevard und Psycho-Thriller.