Museum Der Knüller ist eine Spiegel-Galerie

DÜSSELDORF · Glassammlung des Düsseldorfer Kunstpalastes ist wieder eröffnet – mit Murano und Objekten aus 5000 Jahren.

Seit 700 Jahren ist die kleine Laguneninsel Murano bei Venedig der Inbegriff grossartiger Glaskunst.

Foto: epd/Andreas Endermann

Durchsichtig oder opak. In grell leuchtendem Rot, Blau, Gelb oder Grün, oder farblos weißlich, leicht zerbrechlich oder von beinah steinharter Festigkeit. Gefäße, Schalen, Becher in Riesen- oder Kleinst-Format. All das bietet der Stoff, aus dem seit der Bronzezeit Alltags-Gegenstände hergestellt wurden. Unter den Ägyptern in Glaswerkstätten, in denen Sand und Asche miteinander verschmolzen. Dort entstand ein Material, das an Edelsteine erinnert. Zu bestaunen in der Glassammlung des Kunstpalastes. Nach zehn Jahren Umbau am Düsseldorfer Ehrenhof ist die wertvolle und berühmte Kunstpalast-Kollektion mit Objekten aus etwa 5000 Jahren Kultur-Geschichte – von der Antike bis zur Gegenwart – endlich wieder zugänglich.

Und lockt zu Beginn mit der kleinen, aber feinen Wechselausstellung „Mythos Murano“ mit spektakulären Exponaten – unter anderem von Tony Cragg. Für seinen Turm aus milchigen Einmachgläsern (mit Sandstrahler bearbeiteten Oberfläche) benutzte er zwar Industriegläser, doch eine organisch hochwachsende Skulptur (in typischen Cragg-Formen) wurde in Murano gefertigt. Das bauchige Gewächs aus honiggelb schimmerndem Glas ist auch handwerkliches Meisterstück und weist auf beide Pfeiler der Glas-Sammlung – Kunst und Handwerk. Manchmal auch auf die schwimmenden Grenzen zwischen Kitsch und Kunst.

Zur Wieder-Eröffnung des Westflügels präsentiert Sammlungsleiter Dedo Von Kerssenbrock-Krosigk knapp 2000 von insgesamt 13 000 Glas-Objekten. Mit dieser Zahl gehört die Düsseldorfer Glas-Sammlung, seit den 1960ern stark geprägt vom Mäzen und Star-Architekten Hentrich, zu den bedeutendsten der Welt. Hentrich allein schenkte manchmal pro Jahr 300 Exponate. So ist Düsseldorf „angesiedelt direkt hinter dem British Museum und dem international größten Glasmuseum in den USA,“ so von Krosigk, der vor Düsseldorf in Amerika arbeitete.

Als Appetitanreger auf Kunst und Gebrauchsgegenstände aus und in Glas empfiehlt sich, den Rundgang in der Murano-Schau zu beginnen. Wenn auch Murano bereits vor 700 Jahren hergestellt wurde, so erlebte es mit seinen extravaganten Ausformungen eine Wiederentdeckung erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Murano kennt seit den 1950ern fast jeder. Nicht nur Italien-Touristen. Besonders die stilprägenden, reichlich verzierten und farbigen Kronleuchter aus Murano machen den Mythos aus. Mit zwölf Armen oder mehr. Dank eifriger Vermarktung der kleinen Lagunen-Insel bei Venedig nach 1945 finden sich seit einigen Jahrzehnten solch prächtige und kunstvoll verzierte Kronleuchter in vielen Salons, Vestibüls und Wohnzimmern – nicht nur in Europa. Aber auch Schalen, Teller, Gefäße, kleine Handschmeichler. Selbst das kleine, fünfkantig geformte weiß-gelb-rot-schwarze Sex-Spielzeug von Sunnei S. „Sex toy. Cucumber“ stammt aus Murano.

Woran man Murano erkennt? Von Krosigk: „An virtuosen Formen und Farben. Selbst dem Fachmann bleibt es manchmal ein Geheimnis, wie Glasmacher in Murano verschiedene Farben in eine geschwungene Gefäßwand zaubern können. Oder wie ein hohes schlankes bizarres Fadenglas entstehen kann. Eine vielfarbige Schale (‚murrine opache‘) aus schwarz-rot-blauem Mosaikglas oder ein Fisch ‚aus Farbgläsern vor der Lampe geblasen‘.

Ästhetische Überraschungen und außergewöhnliche Gebilde aus Glas bietet ebenso der Gang durch die Dauer-Sammlungsschau. Chronologisch aufgebaut zieht sie sich durch etwa 30 Räume, mit Objekten von 3000 vor Christus bis 2024. Blickfang hier: „Nocturne #6“ von Karen La Monte (2019): der Torso einer Lady in graue Seidenrobe gehüllt. Aus vier unterschiedlichen Glasstücken montiert. Auf das bruchsichere Zusammenschrauben verstehen sich tschechische Glasbauer. Die Tschechei gilt neben Italien, so von Krosigk, als wichtiger Glasproduzent und ist international gefragt. Daneben eine Tüte „Aldi Süd“ aus Glasperlen, Draht und Sicherheitsnadeln von Shige Fujishuro. Ganz schön schräg.

Entdeckungen sind in fast jedem Epochen-Raum zu machen. Ob auf Glas gemalte Porträts aus Spät-Mittelalter, Renaissance, höfisch royale und pompös dekorierte Pokale und Parade-Amphoren aus dem Barock oder haushohe Kirchenfenster in üppig blühendem Jugendstil. Es empfiehlt sich, in jeder Epoche zu verweilen, um den Fortschritt, Wandel und die Rückbesinnung auf frühere Motive nachzuvollziehen.

Der absolute Clou aber: die Spiegelgalerie. Aneinandergereiht sind zahlreiche verspiegelte Schränke. In ihnen präsentiert von Krosigk circa 1000 Vasen, Amphoren, Becher, Trinkgläser und viele andere Gegenstände aus Hunderten von Jahren. Die intensiven Farben und die ständig wechselnden Objekt-Formen und Größen berauschen zunächst. Dann ist man beflügelt durch die Farbästhetik und Spiegeleffekte. Kaum zu glauben, wie viele Depots von Krosigk sichten musste, um die Regale zu füllen und damit ein kleines Gesamtkunstwerk zu schaffen. Allein dieser Raum lohnt den Kauf eines Museumstickets.

Neue Glassammlung und Sonderausstellung „Mythos Murano“. Insgesamt knapp 2000 Objekte. Ab 19. Nov., Kunstpalast Ehrenhof 4. Düsseldorf. Eintritt: 16 / 12 Euro, für alle Bereiche. Di.-So., 11-18 Uhr. (Do. bis 21 Uhr)