Ausstellung über Foto-Künstler der frühen Stunde im Neusser Clemens-Sels-Museum Fotografie war auch Kunst, von Anfang an

NEUSS · . Das Balzac-Denkmal, die „Bürger von Calais“ oder „der Denker“. Diese Skulpturen von Auguste Rodin (1840-1917) – wer kennt sie nicht? Durch zahlreiche Abbildungen bereits aus der Frühzeit der Fotografie in den 1870er Jahren.

Die Ausstellung spürt dem Einfluss des Symbolismus auf die zeitgenössische Kunstfotografie nach.

Foto: dpa/Christoph Reichwein

Viele dieser Fotografen sind beim kunstinteressierten Publikum meist in Vergessenheit geraten. Wie zum Beispiel Edward Steichen (1879-1973), der auf einem Foto von 1906 Rodin konfrontierte mit dem vornübergebeugten Mann in „Denker“-Pose. Die Inszenierung und die geheimnisvolle Dunkelheit, in der dieses Foto gehüllt ist, löst bis heute eine Debatte um das Thema aus „Ist Fotografie Kunst?“ Zumal in einer Zeit, in der wir täglich von Hunderten von Digitalbildern auf unseren Smartphones überreizt und überflutet werden. Sie selber produzieren. Diese Frage zieht sich durch die außergewöhnliche Ausstellung im Clemens-Sels-Museum in Neuss „Foto-Kunst-Foto“, die bis Ende Februar 2025 zu sehen ist.

Die Kuratoren Anita Hachmann und Ralph Goertz beleuchten diese Streitfrage anhand von mehr als 100 fotografischen Werken von 54 Künstlern aus etwa 150 Jahren. Zahlreiche Originale und Erstabzüge – anfangs ja nur in Schwarz-Weiß möglich – stehen in der Schau Kunstwerken anerkannter, renommierter Fotokünstler unserer Tage gegenüber: Thomas Ruff, Thomas Wrede und Elgar Esser, die im internationalen Kunstmarkt sehr gefragt sind.

Ihre Tableaus schauen von Weitem wie Gemälde aus. Landschaften verschwimmen in Konturen, durch unterschiedliche Belichtungszeiten oder Unschärfe. ‚Gewollte Unschärfe‘ – nicht etwa durch Zufall, sondern gezielt als Stilmittel eingesetzt – lässt sich auch auf einigen Szenen von Julia Margret Cameron (1815-1879) erkennen. Kurz nach der Entwicklung der Fotografie wollte die Pionierin der Fotografie nicht nur die Welt abbilden, sondern begann, Menschen und Gegenstände anzuordnen, in arrangierte Szene zu setzen. Und – wie viele Fotografen nach ihr – mit Belichtungszeiten zu experimentieren. Je länger sie eine Szene in der Natur belichtete, desto unschärfer wurden Konturen von Bäumen, Flüssen und Bergen.

Museumsdirektorin Uta Husmeier-Schirlitz

Foto: dpa/Christoph Reichwein

Einzelne von Camerons kunstvoll dekorierten Porträts von Frauen mit verklärtem Gesichtsausdruck sind in milchige Schwaden gehüllt. Bildnisse von markanten älteren Männern (meist mit Bart) indes weisen durch Rembrandtsche Dunkelheit auf altmeisterliche Porträtkunst. Mystisch aufgeladen, versteht sich.

Mythologische oder biblische Figuren, wie die Sphinx oder die Tochter von König Herodes, Salome (die den Propheten Johanaan köpfen lassen) sind auf frühen Fotografien erkennen und belegen den Einfluss der zur Jahrhundertwende herrschenden Kunstrichtung des ‚Symbolismus‘. Das Zusammenspiel von Poesie, märchenhaften Traum-Darstellungen, von Vergänglichkeit, Spielen mit psychologischen Erscheinungen und Jugendstil-Elementen – all‘ das sind Elemente symbolistischer Kunst. Sei es in der Literatur, Musik oder eben auch der Malerei. Gemälde aus dieser (auch von außereuropäischen, französischen und deutschen Malern dominierten Stilrichtung) dominieren in der ständigen Sammlung des Clemens-Sels-Museums.

Daher eignen sich – innerhalb eines Gebäudes – die Exponate zum direkten Vergleich zwischen Malerei, Bildhauerei und Fotokunst. Zu beliebten Motiven zählten damals in beiden Genres Todessehnsucht in Nebelschwaden und düstere Nachtszenen, wie auf Bildern von Böcklins „Toteninsel“, Wasser-Bildern und wogende Ozeane. Meist in verhangener Atmosphäre, die die unvermeidbare Endlichkeit des Menschen in einen ästhetischen Rahmen kleiden.

Immer wieder sehen wir milchige Umrisse. Denn Unschärfe wurde zur Überhöhung oder Verfremdung gezielt eingesetzt. Auch um die „Grenzen zwischen Realem und Irrealem, zwischen Wachen und Träumen zu verwischen.“ Auch heute noch gehöre das zur Praxis von zeitgenössi­schen Fotokünstlern, erklärt Kurator Ralph Goertz. Gezeigt werden in der Schau Porträts, Akte von Frauen oder Männern, Landschaften oder ‚Tableaus Vivants (lebende Bilder) aus verschiedenen Epochen. Letzteres in drei Monumentalformaten von Eleanor Antin. Die vielseitige amerikanische Film- und Fotokünstlerin (Jahrgang 1935) inszeniert in ihrer Serie „Römische Allegorien“ Menschen in modernen Sandalen und heutiger Kleidung auf antiken Ruinenfeldern – ähnlich wie Touristen oder Werbe-Models der Textilbranche, die lässig an der Zigarette ziehen. Neben Thomas Ruffs Experimenten mit Abzügen von blaugefärbten Foto-Negativen (wie in einer Dunkelkammer) und einer verschwommenen Rhein-Landschaft entführen besonders Elgar Essers Fluss-Landschaften in eine grünlich schimmernde, magische Welt. Die üppig sprießende Ufer-Bepflanzung säumt die Flussbilder. Die Kleinformate, gerahmt wie alte Bilder, sind ungewöhnlich schwer und glänzen: Der „Impressionist moderner Fotografie“, wie Esser genannt wird, trägt seine Fotos auf massive Kupferplatte mit Silberbeschichtung auf.

Fazit: eine lohnenswerte Ausstellung, die bei allem Hang zur ästhetisch aufgeladenen Nostalgie den Beweist liefert, dass Fotografie von Anfang an auch als Kunstform ausgeübt wurde.

Bis 23. Februar 2025, Clemens Sels Museum, Neuss, Am Obertor, Katalog (170 Seiten mit zahlreichen Abbildungen): 29,90 Euro. Tel: 02131/ 90 24 72.