Talk mit Eva Illouz im Schauspielhaus „Wer Angst kontrollieren kann, hat die Macht“
Eva Illouz, Professorin für Soziologie in Jerusalem und Paris, berichtete im Schauspielhaus über ihre Erfahrungen mit Vorurteilen.
Wenn das Ehepaar Meron Mendel und Saba-Nur Cheema die Bühne im Kleinen Haus des Schauspielhauses betritt, er Jude, sie Muslimin, weiß man: Sie werden ihren Gesprächsgast in der Reihe „Positionen und Perspektiven“ nicht in Talkshow-Manier auseinandernehmen, sondern ihm oder ihr mit Fingerspitzengefühl Zwischentöne entlocken, die der Wahrheit viel näher kommen. Diesmal saß zwischen ihnen die französisch-israelische Soziologin Eva Illouz im voll besetzten Haus.
In Marokko geboren, zog sie als Zehnjährige mit ihrer strenggläubigen jüdischen Familie nach Frankreich, ging dort zur Schule und studierte in Paris und an der University of Pennsylvania in den USA. Heute lehrt sie als Professorin für Soziologie an Hochschulen in Jerusalem und Paris. Ihre Bücher wurden in 18 Sprachen übersetzt. Im Mittelpunkt ihrer Forschungen stehen Emotionen in der kapitalistischen Gesellschaft.
Wenn Illouz an ihre Kindheit in Marokko denkt, erinnert sie sich besonders gern an die „Brüderlichkeit zwischen Moslems und Juden“. Nach dem Scheitern eines Militärputsches musste die Familie das Land verlassen. „Als Jude“, sagte sie, „hat man noch heute das Gefühl, dass man irgendwann gehen muss.“ Frankreich war das Ziel, weil Illouz’ Mutter sagte, für eine gute Ausbildung müsse ihre Tochter dorthin, nicht nach Israel. Zudem seien Juden dort gut integriert. Die meisten Juden allerdings seien aus Marokko nach Israel ausgewandert – und dort nicht willkommen gewesen: „Der einzige Ort, an dem ich Antisemitismus erfahren habe, ist Israel.“
Meron Mendel fragte dann: Warum haben sich andere Juden aus Afrika nicht so gut wie die Familie Illouz in Frankreich integriert? Illouz antwortete mit dem Hinweis, für Juden gebe es ein Gesetz, dass man sich in der Fremde an die dortigen Gepflogenheiten anpassen müsse. Diejenigen, die in viel größerer Anzahl als die marokkanischen Juden nach Frankreich ausgewandert seien, hätten sich dort nicht willkommen gefühlt. Während Marokkaner und Algerier sich als Ärzte, Professoren und Rechtsanwälte etablierten, habe es für die anderen kaum ein kulturelles Angebot gegeben. Diese Einwanderer hätten daraufhin als rechtsextrem und ungebildet gegolten.
Illouz richtete sodann den Blick auf Israel. Der aus dem vormaligen, damals russifizierten Polen stammende Menachem Begin (ursprünglich Mieczyslaw Biegun), von 1977 bis 1983 Ministerpräsident des Landes, habe versucht, Immigranten und Minderheiten, die sich wie er herabgesetzt fühlten, für sich zu gewinnen, und damit dem heutigen Premier Benjamin Netanjahu den Boden bereitet. „Netanjahu ist ein Meister darin, die Emotionen der Menschen anzusprechen“, sagte sie. Und: „Wer Angst kontrollieren kann, hat die Macht.“ Netanjahu habe immer Angst vor dem Iran geschürt. Und er habe für Feinde des Landes Bilder des Ekels gefunden. Vor allem aber pflege er Ressentiments. Vorurteile stammten aus der Erinnerung an eine Wunde. Wenn sich Eltern schlecht behandelt fühlten, gäben sie das an ihre Kinder weiter, die wiederum die Ressentiments an die nächste Generation übermittelten.
Wie entkommt man dem Teufelskreis der Vorurteile? Illouz sprach sich für ein langsames Denken anstelle der plakativen Urteile aus, die wir aus Social Media und Talkshows kennen: „Wir müssen mit Bildung arbeiten.“
Zum Schluss bezog sie in ihr langsames Denken sogar noch die Wahl Donald Trumps ein: „Wir sollten die Wähler nicht als Idioten bezeichnen, sondern daran denken, dass in der amerikanischen Gesellschaft zuletzt viele abgehängt wurden.“ Menschen, für die es keine Aussicht auf sozialen Aufstieg ihrer Kinder gebe, weil sie deren Ausbildungskosten nicht tragen könnten. Illouz: „Wir sollten diese Stimmen ernst nehmen.“