Was macht dieses Kammerorchester zu einem jüdischen Orchester?
Der jüdische Dirigent Daniel Grossmann vor seinem Düsseldorf-Konzert „Mir macht Höcke mehr Angst als Chrupalla“
Düsseldorf · Der Dirigent vom Jewish Chamber Orchestra Munich spricht vor seinem Auftritt im Schauspielhaus über den Antisemitismus in unserer Zeit. Und warum ihm Björn Höcke mehr Angst macht als Tino Chrupalla.
Milena Feldmann, Tim Feldmann und Lena Frings führten das Interview.
Der Dirigent Daniel Grossmann studierte in New York und Budapest. Seine jüdischen Eltern kamen in den 1970er-Jahren aus Ungarn nach Deutschland. Er selbst wurde in München geboren, wo er bis heute lebt. Hier gründete er das Jewish Chamber Orchestra Munich (JCOM) und setzt sich seither dafür ein, jüdisches Leben in der deutschen Gesellschaft sichtbarer zu machen. Am 27. Januar treten er und das JCOM mit dem Klezmer-Singspiel „Mendele Lohengrin“ im Schauspielhaus auf. Im Interview spricht er über jüdische Gegenwartskultur, antijüdische Komponisten und die Frage, warum ihm der Antisemitismus von links noch mehr Angst macht als die AfD.
Daniel Grossmann: Nicht die handelnden Personen. Ich sage immer: Wir sind kein Ghetto-Orchester. Es wäre furchtbar, wenn bei uns nur jüdische Menschen arbeiten und nur jüdische Musikerinnen und Musiker spielen würden. Das fände ich ganz schlimm. Jüdisch ist die inhaltliche Idee der Konzerte. Die muss jüdisch sein. Sonst sind wir beliebig.
Was bedeutet „jüdischer Inhalt”? Spielen Sie nur Stücke von jüdischen Komponistinnen und Komponisten, oder gibt es so etwas wie ureigene jüdische Themen?
Grossmann: Das ist bewusst so breit gestreut, dass man eben nicht sagen kann: Ja, es muss immer ein jüdischer Komponist oder eine jüdische Komponistin vorkommen. Und ob es ein ureigenes jüdisches Thema sein muss? Nein, zum Beispiel führen wir den Stummfilm „Panzerkreuzer Potemkin“ auf. Die Filmmusik hat ein Jude komponiert, und manche beteiligte Filmschauspieler waren Juden. Aber es wird kein spezifisch jüdisches Thema darin behandelt. Manchmal ist es das Stück, manchmal ist es das Thema. Wichtig ist: Irgendeinen erklärbaren Bezug zum Judentum muss es geben.
Sie sind ein deutscher Dirigent, und Sie sind jüdisch. Manche deutsche Komponisten waren Antisemiten oder haben in ihren Werken antijüdische Klischees bedient. Wie gehen Sie in Ihrer Arbeit mit dieser musikalischen Vergangenheit um?
Grossmann: Sehr bewusst. Mir ist wichtig, dass ich mir bewusst mache, was der Hintergrund der Komponistinnen und Komponisten war und ist. Und dann stelle ich mir die Frage, ob ich sie in einen Kontext stellen muss. Das würde ich jetzt bei Bach zum Beispiel nicht sehen, wobei man diskutieren kann, ob das notwendig wäre. Bei Richard Wagner auf jeden Fall. Ich würde die Musik von Richard Wagner ohne Kontext niemals aufführen.
Sie würden aber nicht kategorisch sagen, dass Bach oder Wagner oder andere Komponisten für Sie ein Tabu wären?
Grossmann: Nein. Ich möchte nichts tabuisieren. Das würde ich so niemals sagen. Ich würde mich vielleicht bei manchen Personen fragen, ob ich die wirklich aufführen will. Aber ein Tabu? Nein.
Auf der Homepage des JCOM informieren Sie über religiöse Traditionen und zeitgenössische jüdische Kunst und Kultur. Es scheint, dass Sie nicht nur musikalisch unterhalten, sondern auch eine Botschaft vermitteln wollen. Welche Botschaft ist das?
Grossmann: Ich möchte die Inhalte des Judentums in den Vordergrund stellen, die ich interessant finde. Ein Beispiel, das mich sehr beeindruckt hat: Ich habe mal ein Konzert zum jüdischen Trauerritual gegeben. Und danach haben Menschen zu mir gesagt, dass sie wegen dieses Rituals gerne Juden werden möchten. Und das war eine gute Rückmeldung. Die Zuhörer fanden einen Aspekt des Judentums so gut, dass sie sich damit identifizieren konnten. Und das ist das, was ich erreichen möchte. Ich möchte Inhalte komplett wertfrei in den Raum schicken. Nicht, dass der Eindruck entsteht, ich wolle jemanden missionieren. Um Gottes willen! Ich persönlich halte von Religion auch gar nicht so viel, aber von diesen Inhalten halte ich sehr viel. Und das möchte ich anderen vermitteln.
Sie setzen sich schon Ihr ganzes Berufsleben für die Sichtbarkeit jüdischen Lebens in Deutschland ein. Jetzt steht bald die Bundestagswahl an, und vielleicht verengt sich der Raum für jüdisches Leben angesichts des Erstarkens einer rechtsradikalen Partei, der AfD. Was gibt Ihnen Kraft, trotzdem weiterzumachen?
Grossmann: Ich will die Rechtsradikalen und die AfD auf gar keinen Fall verharmlosen, aber ich möchte an dieser Stelle sehr betonen, dass mir der intellektuelle Antisemitismus fast noch mehr Angst macht. Also der Antisemitismus an den Universitäten ist das, was mir am allermeisten Sorge bereitet: wenn Menschen, die ich intellektuell ernst nehme, mit rassistischen Ideologien daherkommen.
Warum macht Ihnen der „intellektuelle Antisemitismus”, wie Sie ihn nennen, mehr Angst als ein rechtsextremer Antisemitismus?
Grossmann: Weil ich das Gefühl habe, dass Rechtsextreme – Gott, wie formuliere ich das jetzt? Wenn ich diese AfD-Demos sehe, Proleten und Neonazis, die tumb auf die Straße gehen und „Ausländer raus“ rufen, dann weiß ich nicht, ob das die Menschen sind, die die Kultur in diesem Land bestimmen. Aber ich gehe davon aus, dass Menschen an den Universitäten mit ihrer Bildung und ihrem Intellekt mehr Einfluss haben werden als die Tumben auf der Straße. Darum macht mir auch Herr Höcke sehr viel mehr Angst als Herr Chrupalla. Menschen, die gebildet und antisemitisch sind: Wahnsinn, das finde ich richtig krass.
Sie sprachen zunächst von intellektuellem Antisemitismus an den Universitäten, später dann vom Thüringer AfD-Politiker Björn Höcke. Sind das nicht zwei verschiedene Dinge?
Grossmann: Der Widerspruch ist nicht so groß. Ich erwähne immer die Universitäten, weil ich das Gefühl habe, da wächst eine ganze Generation von intellektuellem Antisemitismus nach. Also in Amerika scheint das ja wirklich schlimm zu sein. In Deutschland ist es noch nicht so weit. Und ich habe Höcke erwähnt, weil er als Intellektueller in der Öffentlichkeit steht.
Aber in Bezug auf intellektuellen Antisemitismus sprechen Sie jetzt nicht nur von Rechtsextremen, oder?
Grossmann: Nein, überhaupt nicht. In meiner Arbeit habe ich sehr, sehr, sehr viel mehr Ablehnung vom linken Parteienspektrum erfahren als vom rechten. Also ich glaube nicht, dass die AfD uns zum Beispiel die Förderung streichen würde. Nicht, dass ich damit irgendwie die AfD schönreden will. Also gar nicht. Sicher nicht. Ich bin sehr froh darüber, dass viele Menschen auf die Straße gehen, wenn zu einer Demo gegen rechts aufgerufen wird. So viele, dass die Demo wegen zu vielen Teilnehmenden aufgelöst werden muss. Das macht mir Mut. Es gibt viele Momente, in denen ich Mut habe, weil ich umgeben bin von sehr vielen Menschen, die ich als weltoffen und interessiert erlebe.
Am 27. Januar, also am Shoah-Gedenktag, führen Sie in Düsseldorf „Mendele Lohengrin” auf. Das Stück, so ist auf Ihrer Homepage zu lesen, „parodiert das Streben vieler assimilierter Juden nach Anerkennung und Akzeptanz in einer oftmals feindseligen Gesellschaft”. Gibt es Parallelen zum gesellschaftlichen Klima heute?
Grossmann: Das würde ich so nicht sagen. Die Geschichte, ganz kurz erzählt: Ein osteuropäischer Schtetl-Musiker geht nach Wien, wo er erstmals Wagner hört. Von da an will er nur Wagner spielen. Als er nach Hause kommt, wird er ausgelacht und erfährt irgendwann: Wagner war ein Antisemit. Ich sehe darin eine tragische Geschichte. Jemand entdeckt seine große Liebe für die Musik von Richard Wagner. Dann erfährt er, dass Wagner ein Antisemit war, und er nimmt seinen Bass und schmeißt ihn in die Ecke und will mit Musik nichts mehr zu tun haben. Das berührt mich menschlich. Solche Konflikte sind zeitlos: Durch Ablehnung so verletzt zu sein, dass man sein ganzes Leben hinschmeißt.
Ist das vielleicht auch ein Konflikt mit problematischen Komponisten, den auch Sie als Dirigent immer wieder aushandeln müssen?
Grossmann: Ich nehme Menschen aus vergangenen Jahrhunderten so etwas weniger persönlich als Menschen, die heute leben. Kanye West berührt mich auf einer anderen Ebene, weil ich das gesellschaftliche Klima des 19. Jahrhunderts nicht erlebt habe. Vielleicht war die Gesellschaft damals noch nicht so aufgeklärt. Sind Menschen heute rassistisch, denke ich: Wer nicht verstanden hat, wozu diese Ideologie führt, dem kann ich auch nicht mehr helfen.