Überdrehte Typen, bizarre Bilder – Boris Vians Roman „Die Gischt der Tage“ im Düsseldorfer Schauspielhaus irritiert Alles surreal? Mehr Rätsel als Einsichten
DÜSSELDORF · . Bernadette Sonnenbichler – Regisseurin am Düsseldorfer Schauspielhaus – will und macht häufig einfach zu viel. Sie überstrapaziert Geduld und Neugier des Publikums. Manchmal auch die ihrer exzellenten Darsteller.
Auch in ihrer neuen Arbeit, deren Premiere jetzt in Düsseldorf mit höflichem Applaus gefeiert wurde, hat sich Sonnenbichler übernommen. Erstaunlich, dass eine so begabte Theatermacherin, die erst vor kurzem mit einem fabelhaften und tiefsinnigem Molière-Abend begeisterte, nun mit dem wenig bekannten Roman „Die Gischt der Tage“ von Boris Vian (1920-1960) im zweiten Teil gähnende Langeweile produziert.
Wacker, aber wenig künstlerisch, erzählt sie alle Szenen, verzichtet auf keine Nebensächlichkeit aus der deutschen Übersetzung (Frank Heibert) des Frühwerks von Vian. Schade. Denn zunächst bringt sie so viele Absurditäten, Spielereien, so viel Witz auf die Bühne, dass das Publikum sein Vergnügen hat und lacht: Da schlüpfen Aale aus Wasserleitungen und fressen Zahnpasta-Tuben. Oder ein klavierähnliches Gerät – das „Pianocktail“ – produziert auf Tastendruck süffige Drei-Farben-Cocktails.
Doch je länger der Zwei-Stunden-Abend und die Liebesgeschichten von zwei Paaren dauern, je mehr Ausstatter Stefano Di Buduo die Bühne mit Fantasie überbordenden Zwei-Etagen-Gebilden, Möbeln und Maschinen zustellt, desto mehr mündet das Spektakel in bleierne Schwere. Nicht nur, weil der muntere Witz für eine der Frauen (Chloé) in tödlichem Ernst mündet. Sie ist sterbenskrank, weil eine Lotusblüte in ihrer Lunge wächst.
Die Schwere ist auch Zeichen dafür, dass Sonnenbichler, wie bereits vor einem Jahr bei „Peer Gynt“, Zuschauer verstört und überfordert, weil sie erneut philosophische Hintergründe und Anspielungen – hier an Jean-Paul Sartre (Freund und Zeitgenosse von Boris Vian) nicht verständlich macht. Geht womöglich auf der Bühne gar nicht. Da wird aus Sartre „Jean Sol Partre“, dessen Werke von Chick gekauft und „verschlungen“ werden. Chick verschuldet sich dafür bei seinem Freund Colin bis über beide Ohren. Hintergrund: Vian war fasziniert von Sartres Werk.
Konsequenz: Nicht jeder Roman lässt sich auf die Bühne bringen. Da muss ein Regisseur ein klares Ziel verfolgen, muss mutig kürzen können, oder Robert Wilson heißen. Kein Wunder also, dass beim Schlussapplaus Trompeter Richard Koch am lautesten gefeiert wird. Mit flinkem Woogie-Boogie-Jazz, später dann mit langsamem Blues belebt und untermalt er – als Beobachter – das kunterbunte Treiben. Denn Vian selbst war nicht nur Autor, Sänger und Schauspieler, sondern auch Jazz-Trompeter unterwegs.
Biografische, makaber visionäre Parallele war ebenso die Krankheit von Colins Traumfrau Chloé (mit viel Energie und jugendlicher Glut gespielt von Sophie Stockinger). Auch Boris Vian starb 1959 mit 39 an einem Lungen-Ödem.
Ansonsten agiert die Clique wie elektrisch aufgeladene Kunstfiguren. Da rappelt und zappelt es, sie hampeln, strampeln, biegen und wiegen sich. Großmütig und großzügig geriert sich Sebastian Tessenow als Colin, während Jonas Friedrich Leonhardi das rührende Porträt von Chick zeichnet – als Zappelphilipp und hyperventilierter Pseudo-Nerd, mit ewig brennender Zigarette im Mundwinkel, giert Chick stets nach sensationellen Nachrichten oder neuen Erkenntnissen von Partre. Manchmal sucht er nur seine Freundin Alise (Fnot Taddese), die sich später als Ärztin um die immer schwächer werdende Chloé sorgt. Und gegen ihre unheilbare Krankheit nur eins verordnet: Blumen, Blumen, Blumen. Letzteres ruiniert den spendablen Colin, der alles geben will, um das Leben seiner einzig wahren Liebe Chloé zu retten.
Als heilsames Gegenmittel zur grassierenden Aufgeregtheit erweist sich Colins Koch Nicolas. Ganz sanft beruhigt Jürgen Sarkiss in dieser Rolle seinen Herrn, der ihn am Ende entlassen muss. Denn der zuvor wohlhabende Colin ist pleite. Muss alle Wertsachen, die noch auf der Bühne stehen, versilbern. Was bleibt? Mehr Rätsel als Einsichten – neben überspannten Bildern mit Lotusblüten und bizarren Typen.
Termine: Infos und Karten unter Tel.: 0211/36 99 11