Vor der Premiere von Kafkas „Verwandlung“ im Kleinen Haus Fragen Sie Ihren Körper!
Düsseldorf · Die litauische Regisseurin Kamile Gudmonaite erarbeitet mit dem Stadtkollektiv Franz Kafkas „Die Verwandlung“ für das Düsseldorfer Schauspielhaus.
In seiner Parabel „Die Verwandlung“ beschreibt Franz Kafka die wohl berühmteste Metamorphose der Literatur. Eines Morgens erwacht Gregor Samsa aus unruhigem Schlaf und findet sich zu seinem Entsetzen mit einem Panzer wieder. Über Nacht ist ein monströses Insekt aus ihm geworden. Das Stadt:Kollektiv des Schauspielhauses bringt den Albtraum mit sieben Akteuren auf die Bühne. Kommenden Sonntag hat „Die Verwandlung“ Premiere im Kleinen Haus.
Schwarzglänzend und starr hängt das Käfer-Kostüm neben anderen auf einer Stange im Flur. Mit einer fast zärtlichen Geste streicht Kamile Gudmonaite im Vorübergehen über den klotzigen Panzer. Die Regisseurin aus Litauen, künstlerische Leiterin am Nationaltheater in Vilnius, setzt das Schauspiel für Düsseldorf in Szene. Mit der Dramaturgin Dorle Trachternach hat sie Kafkas Erzählung bearbeitet und mit den Biografien der Darsteller vermengt. Wie stets geht es auch hier um wahre Geschichten, ein Anliegen und Grundprinzip von Birgit Lengers, der Leiterin des Stadt:Kollektivs. Für Kamile Gudmonaite fließt in diese Arbeit eines ihrer Hauptinteressen ein: der Prozess der Transformation, die Zwischenstadien, die Grenzerfahrung. „Die Verwandlung“ sei exemplarisch für das Leiden einer Person, die gesellschaftlichen Normen nicht entspricht, sagt sie. Darum wollte sie das Stück auch mit Menschen erzählen, denen solche Situationen vertraut sind. „Menschen, die Fragen an ihren Körper stellen, der ihnen fremd oder unpassend erscheint“, erklärt sie.
Die Auslöser können mannigfach sein: Krankheiten, körperliche Einschränkungen, chronische Schmerzen, alles, was unkontrollierbar ist wie auch der unaufhörlich fortschreitende Prozess des Alterns. „Der Originaltext ließ sich ganz organisch mit den Geschichten des Ensembles verknüpfen“, sagt Kamile Gudmonaite. Auch der Dichter habe unter seinem Körper gelitten und sich beklagt: „Ich habe mich mein ganzes Leben als hässlich empfunden. Ich sehe aus wie ein Bote, der schlechte Nachrichten überbringt.“
Wie kam es zu ihrer Verpflichtung am Schauspielhaus? Birgit Lengers erfuhr als Kuratorin des Festivals „Radar Ost“ von einer aufregenden jungen Regisseurin aus Litauen. Ohnehin immer auf der Suche nach aufstrebenden Talenten, befasste sie sich näher mit dem Schaffen von Kamile Gudmonaite. Performances wie „Trans Trans Trans“ und „Unspoken“ weckten ihr Interesse. „Die Verwandlung“, davon war Lengers schnell überzeugt, müsste bei ihr in guten Händen sein.
Wie bei allen Projekten der Bühne wurde die Besetzung sorgsam gecastet. Lengers gibt talentierten Laien ein Forum und kitzelt dabei immer wieder Erstaunliches und Berührendes heraus. Bei den Auswahl-Workshops für die Kafka-Inszenierung, die Lengers auch als Dramaturgin betreut, war die Regisseurin dabei. Für sie ist die Entwicklung eines Stücks mit nichtprofessionellen Spielern eine Inspiration. „Ich lade gerne Leute ein, die ihre eigenen Geschichten erzählen“, sagt sie. „Nicht allen fiel es immer leicht, sie mit uns und bald auch mit der Öffentlichkeit zu teilen. Was wir hörten, war oft sehr hart.“
Kafkas ursprünglicher
Text bleibt erkennbar
Ist der Originaltext noch erkennbar? Das bejaht Kamile Gudmonaite. Sie berichtet, wie sie zunächst glaubte, gar nicht so viel Kafka zu brauchen, weil die persönlichen Geschichten sie derart faszinierten. Im Verlauf der Proben änderte sich ihre Sicht auf den Inhalt. Kafka gewann immer mehr an Bedeutung. Jetzt, glaubt sie, greife alles harmonisch ineinander. Das Thema der Metamorphose sei so spannend wie aktuell, gerade heute, wo es viel um die Optimierung des Körpers gehe, um das Streben nach Perfektion und das Heilsversprechen chirurgischer Eingriffe.
Im Gegensatz zu Gregor Samsa, der sich aufgibt und stirbt, um seine Familie von seiner unzumutbaren Gestalt zu befreien, geht die Inszenierung einen Schritt weiter. Niemand unter den Akteuren will aufgeben, alle stehen wieder auf. „Das Theater ist der richtige Ort für solche Wendepunkte“, sagt Kamile Gudmonaite. Sie hat schon mehrfach in Deutschland gearbeitet, in Berlin, Freiburg und zuletzt an den Münchner Kammerspielen. Sehr jung machte sie sich auf und realisierte als freischaffende Regisseurin eigene Projekte.
„Ich suchte einen alternativen Weg und habe zunächst Distanz zu den Staatstheatern gehalten“, erzählt sie. Bis der Intendant des Litauischen Nationaltheaters ihr ein Angebot machte. Zuvor gab es unter ihm nur einen männlichen künstlerischen Leiter. Das wollte er ändern und teilte die Position unter drei jungen Regisseurinnen auf, um möglichst viele Facetten in seinem Haus abzubilden. „Wir sind alle um die 30 und völlig unterschiedlich“, berichtet Gudmonaite.