Viel Jubel in Düsseldorf für die Inszenierung des Klassikers „Der Geizige“ im Schauspielhaus Ein großer Molière-Abend
DÜSSELDORF · . Harpagon ist zwar reich, aber auch der Inbegriff des Geizes. So hat Monsieur in seinem güldenen Käfig alles und alle unter Kontrolle. In seinem Haus kann sich niemand nirgendwo verstecken. Denkt er.
Denn sein krankhaftes Misstrauen treibt seine Kinder und Diener in die Enge. Hinter jedem Lächeln aus einem freundlichen Gesicht wittert er argwöhnisch die Hinterlist eines Diebes, der nur an seinen Geldschatz will.
Der verwitwete alte Geizknochen hält sich – in geckig gelben Gehrock gezwängt – gleichzeitig für einen unwiderstehlichen Frauenhelden, der, um Geld zu sparen, seine Tochter und seinen Sohn Cléante mit gesetzten, wohlhabenden Partnern verheiraten will. Er selbst will die junge Marianne, die eigentlich in Cléante verliebt ist, zur Ehefrau nehmen. Zum Entsetzen aller. Den ganzen Tag terrorisiert Harpagon mit neuen Überraschungen seine Umgebung. Was er sagt, gilt. Was ist schon Wahrheit? Zug um Zug wird der „Geizige“ – Titelfigur der gleichnamigen Komödie von Molière – unberechenbarer und als Opfer seiner Verblendung und seines überdimensionalen Narzissmus‘ macht er sich zum Gespött der ganzen Stadt. Und vor aller Welt lächerlich.
Wenn Molière dieses Charakter-Lustspiel auch bereits vor 350 Jahren am Hofe von Louis XIV. spielte, so hat „L’avare“ in der Düsseldorfer Neu-Inszenierung nichts an barockem Staub angesetzt. Denn trotz Garderoben-Zitaten und hochtoupierten Perücken aus Sonnenkönigs-Zeiten, sind Ähnlichkeiten mit heute lebenden hyper-narzisstischen Potentaten – in Ost und West – in dem Fünfakter angelegt. Sie lassen sich heraushören aus der quirligen, artistischen und „trumpelnden“ Deutung im Düsseldorfer Schauspielhaus.
Da muss gar nicht erst das entlarvende Wort von „alternativen Fakten“ fallen. Nach der Premiere wurden Regisseurin Bernadette Sonnenbichler, Ausstatter David Hohmann und Katrin Wolfermann (Kostüme) ebenso bejubelt wie die erstklassigen und sprühenden Darsteller, denen in einigen Szenen sportlich Akrobatisches abverlangt wird.
Im Finale bettelt der „Geizige“, wie ein Kleinkind auf Knien rutschend, und will auf alle Liebe und Zuneigung verzichten, wenn er nur endlich seinen gestohlenen Geldschatz zurückbekommt. So endet Harpagon (in allen Facetten grandios gespielt von Thomas Wittmann) in tragischer Vereinsamung. Trotz Komödiantentums und grotesker Überspitzung von Typen und Situationen. Das wirkt umso gnadenloser, als sich weder er noch seine Kinder läutern. Sie bleiben, wie sie sind. Kein pädagogischer Zeigefinger also. Das ist eine weitere Stärke dieses Abends.
Ebenso die Bühne: Harpagons Haus ist wie ein Setzkasten oder ein Klettergerüst gebaut. Offene Wände auf allen Stockwerken. Von seiner goldenen Käfig-Zentrale aus lässt der verwitwete reiche Geizknochen Elise und Cléante nicht nur nach seiner Pfeife antanzen. Sie eilen mit tüdeldü auf den Lippen im Affenzahn herbei, hetzen umher. Pressen und zischen die Worte nur so heraus wie Puppen, wie im Fantasy- oder Science-Fiction-Comic-Film. In aufgedonnerten Steampunk-Klamotten und Perücken, machen sie einigermaßen gute Miene zum bösen Spiel, vermeiden alles, was den Vater provozieren könnte. Sie winseln und kriechen zu Kreuze. An dem Fassaden-Gestänge rutschen sie (wie auch die Kupplerin Frosine und Dienerin La Flèche) von ganz oben, gleiten abwärts auf Treppen und an den Geländer-Stangen. Oder baumeln wie von einem Trapez herunter. Stets angeseilt, um nicht abzustürzen - wie Artisten an einer Felswand oder in der Zirkuskuppel. Eine starke Metapher, die sich durch die temporeiche, pausenlose 100-Minuten-Molière-Perfomance zieht.
Im Zentrum: der von Verlust- und Verarmungsängsten gequälte Geizhals. Niemand darf wissen, wieviel er besitzt. Einmal, als er sich unbeobachtet fühlt, flüstert er etwas von einer Million in Gold, die er hütet wie seinen Augapfel. Versteckt in einer Truhe in seinem Kellerverlies. Nur er, glaubt er, kennt die Geheimtür zu seinem Geldparadies. Immer wieder schlüpft er durch die Luke und geilt sich an seinem Schatzkästlein auf.
Auch schauspielerisch ist dies ein Theater-Ereignis: Neben Protagonist Thomas Wittmann überzeugt Jonas Friedrich Leonhardi als aufgeplusterter Lebe-Sohn Cléante mit Klunkern um den Hals und Tabea Bettin als hektisch zupackende, leicht schräge Punk-Tochter Elise. Ebenso Alexander Wanat, der als Diener Valère in der Schlüsselszene „Ohne Mitgift“ ein virtuoses und urkomisches Argumentations- und Versteck-Spiel mit Harpagon treibt. Schließlich noch der betagte Urkomiker Rolf Mautz als Koch und Chauffeur Maître Jacques, der seinem geizigen Herrn die Leviten liest. Nach allen Regeln der Verstellungskunst. Und, wie alle, Harpagon nicht retten kann. Fazit: Ein großer Molière-Abend mit manchen Überraschungen, den man gesehen haben muss.
Termine: 8., 16. Nov.; 5., 7., 18., 25 Dez. Weiter im Jan. 2025. Karten unter Tel.: 0211/ 36 99 11