"So viele Jahre liebe ich dich": Vergeben ist möglich, vergessen leider nicht
Philippe Claudels Drama schildert den Weg einer Mörderin zurück ins Leben.
Düsseldorf. Fast noch ein Kind war Léa (Elsa Zylberstein), als ihre große Schwester Juliette (Kristin Scott Thomas) ins Gefängnis ging. Nun fünfzehn Jahre später steht sie am Flughafen in Nancy vor dieser hageren, nervösen Frau und weiß nicht so recht, wie sie sie begrüßen soll. Sie ist auf Bewährung aus der Haft entlassen worden, mit Léas Hilfe soll sie wieder zurück ins Leben finden.
Juliette reagiert befangen auf die neue Umgebung, besonders auf die beiden Kinder. Warum, das versteht man erst später, wenn Philippe Claudels "So viele Jahre liebe ich dich" sich langsam an das Familiengeheimnis herantastet. Juliette hat ihren damals sechsjährigen Sohn umgebracht. Vor Gericht hat die junge Ärztin die Aussage verweigert, wurde wegen Mordes zu fünfzehn Jahren verurteilt.
Der Mord am eigenen Kind ist für den Großteil der Gesellschaft eine unverzeihliche Tat. Auch Léa tastet sich nur langsam in die düstere Vergangenheit vor. Elsa Zylberstein, die mit ihrem offenen, wachen Gesicht die Schwester spielt, und Kristin Scott Thomas, die der verletzten Figur eine gewisse Grundwürde verleiht, sind ideal besetzt.
Claudel beweist Mut zur Geduld bei der Entwicklung der Figuren und zwingt sie nicht in einen gnadenlosen Seelen-Striptease hinein. Allein das Ende, das nach einem nachträglichen moralischen Freispruch der Kindstöterin sucht, ist enttäuschend.
Nachdem er das Publikum erfolgreich vom Pfad der Schuldvorwürfe weggeleitet hat, kehrt Claudel ohne Not erneut dorthin zurück und höhlt mit seiner angestrengt harmonisierenden Schlusswendung das eigene Filmthema wieder aus.