"Sweeney Todd": Auf die Klinge kommt es an

Martialisches Musical: Als brutaler Barbier „Sweeney Todd“ greift Johnny Depp in Tim Burtons gleichnamigem Film nach dem Oscar.

Düsseldorf. Welches Vertrauen die Menschheit doch in die Barbierszunft hatte, ja eigentlich sogar bis heute hat. Man sitzt ruhig in einem Stuhl, während eine wildfremde Person mit verschiedensten Scharfklingen um einen herumfuchtelt. Gelegenheiten zu Kapitalverbrechen böten sich en masse. Vom rücklings Gemeuchelten im Friseursessel hat man allerdings bis dato nicht gehört.

Zumindest nicht hierzulande. Denn in Großbritannien rangieren die Metzeleien des blutrünstigen Barbiers Sweeney Todd auf einer Stufe mit den Gräueltaten eines gewissen Jack the Ripper. 160 Mal soll Todd Mitte des 19.Jahrhunderts in London zugeschlagen haben. Historiker indes gehen mehrheitlich von Legendenspinnerei aus, eben jener Grauzone verbürgten Hörensagens, in der sich Regiefantast Tim Burton am wohlsten fühlt.

All die makabren Zutaten, die der Sweeney-Schwank zu bieten hat - durchschnittene Kehlen oder auch das daraus resultierende schmackhafte Kadaverrecycling - wären für Burton, hätte er lediglich die Legende verfilmt, nicht mehr als eine Fingerübung, eine Wiederbelebung seiner poetischen Enthauptungsmär "Sleepy Hollow" (1999). Tatsächlich ist "Sweeney Todd" für den 49-jährigen Wunderimpresario aber absolutes Neuland, da er seine Protagonisten singen lässt. Das Drehbuch basiert auf dem gleichnamigen Musical von Stephen Sondheim, 1979 bei seiner Premiere am Broadway noch ein Skandal, aber bereits ein halbes Jahr später mit acht Tony-Awards geadelt.

Sondheim hatte der gesichtslosen Fratze des Massenmörders eine Motivation zum Töten gegeben: die Rache. Für Burton wird sie das zentrale Motiv seines düsteren Reigens. Zu Beginn kehrt Todd, ehemals Benjamin Barker, viel beschäftigter Barbier und liebender Familienvater, ins nebeldurchdrungene London zurück. Auf den ersten Blick wirkt Johnny Depp in dieser Rolle, als seien seine früheren Burton-Parts, der schüchterne Edward mit den Scherenhänden oder der schöngeistige Geisterjäger Ichabod Crane, einfach älter geworden. Mit aschfahlem Teint und ungebändigter Mähne steht er auf Deck des Schiffes, das ihn zurück in die Heimat bringt. 15 Jahre lang musste er unschuldig in einem Gefangenenlager schuften, nun will er seinen Peiniger, Richter Turpin (Alan Rickman), zur Rechenschaft ziehen. Er ließ Barker einst grundlos verhaften, nur um an dessen Frau heranzukommen.

Dass er sein altes Leben nicht mehr zurückbekommt, weiß Barker nur zu gut. Deswegen hat er sich unter dem Pseudonym Sweeney Todd auch eine neue Identität zugelegt. In seiner einstigen Vermieterin Mrs. Lovett (Helena Bonham Carter) findet er eine treue, ihn heimlich anhimmelnde Gehilfin. Während er im Obergeschoss Unschuldige meuchelt, um seine Fertigkeit im Kehlenschlitzen zu verfeinern, verarbeitet die Hauswirtin eine Etage tiefer die Überreste zu Pasteten, die schnell zum Verkaufsschlager avancieren.

Sich zu dieser wüsten Räuberpistole auch noch vorzustellen, dass die Hauptfiguren allenthalben in Gesang ausbrechen, ist schwierig. Wie aber schon in der Bühnenversion tragen die verspielt-verstörenden Songs die skurrile Handlung. Besonders Depp merkt man nicht an, dass es sein erster ernstzunehmender Ausflug ins musikalische Fach ist. Mit elegantem Klingenschwung schmettert er sich durchs Geschehen, zerschnippelt Fußgänger en passant und lässt die Wut über seinen Verlust spürbar werden. Zu Recht hat ihn die Academy für diese Leistung mit einer Oscar-Nominierung bedacht - und seine Chancen stehen diesmal nicht schlecht.

Kindheit Geboren am 9. Juni 1963 in Kentucky. Ausgelöst durch die Scheidung seiner Eltern fügt er sich als 15-Jähriger Schnittwunden zu. Acht davon sollen heute noch als Narben sichtbar sein.

Erfolge Nach seinem Durchbruch in der Teenieserie "21 Jump Street" wird Johnny Depp ab 1989 zu einem der erfolgreichsten Schauspieler Hollywoods. Sechsmal arbeitet er mit Tim Burton, dreimal wurde er bislang für den Oscar nominiert.