Vicky Cristina Barcelona: Woody Allens Neuer ist ein Sommernachtstraum
Woody Allen entdeckt in seinem neuen Film „Vicky Cristina Barcelona“ die Leichtigkeit des Seins wieder. Am Donnerstag kommt er in die Kinos.
Düsseldorf. Damit kein Missverständnis aufkommt: Dies ist kein Film über eine einzelne Frau. Schon gar kein Film, in dessen Mittelpunkt Woody Allens neue Muse Scarlett Johansson steht. Im Gegenteil. Es ist ein Film über Vicky und Cristina und Barcelona. Zwei Frauen, eine Stadt.
Und um die Verwirrung perfekt zu machen: Penelope Cruz, auf den Plakaten als einer der beiden weiblichen Stars ausgerufen, spielt weder Vicky noch Cristina. Sie wird irgendwann erscheinen, gewohnt feurig wirbeln, für ein wenig neurotischen Zunder sorgen und wieder verschwinden.
Mit Scarlett Johansson ist das nicht anders. Als Cristina taucht sie im Verhältnis dazu, wie groß ihr Name diesen Film bewirbt, eher untergeordnet auf.
Die Geschichte, auf die es ankommt, gehört Vicky (Rebecca Hall), einer unterkühlten Amerikanerin, die ihr Leben von rationalen Denkmustern fremdbestimmen lässt. Sie hat einen Freund, auf den ihre Partnerwahl wegen seines soliden Berufes und nicht aufgrund eventueller Leidenschaften fiel.
Natürlich wird sie ihn heiraten, in einem Country Club auf Long Island. Vorher muss sie aber noch ihre Magisterarbeit beenden. Zwänge wollen der Reihe nach abgearbeitet werden.
Deswegen reist die Kunststudentin über den Sommer nach Barcelona, der Stadt Antoni Gaudis, dem Meister der sinnlichen Architektur. Runde Formen, ausufernde Raumgestaltung, es ist der Widerspruch zu ihrem strukturierten Weltbild, das Vicky am katalanischen Baumeister zu faszinieren scheint.
Aber nicht nur in ihrem Studium sucht sie nach Gegenentwürfen. Ihre beste Freundin Christina (Johansson) ist eine sorglose Lebenskünstlerin, behauptet von sich, Schauspielerin zu sein, hat aber noch kein festes Engagement ergattert, geschweige denn eine handfeste Ausbildung genossen.
Entsprechend hat sie wenig bis nichts zu tun und begleitet Vicky auf ihrer Studienreise.
Woody Allen, der nach seiner London-Trilogie ("Match Point", "Scoop", "Cassandras Traum") nun Resteuropa zu erschließen scheint, zeigt ein sonnengeflutetes, in wirklich jedem Winkel werbeprospekttaugliches Barcelona, durch das seine beiden Protagonistinnen scheinbar ziellos streifen, um mal hier Tapas und mal dort Wein zu genießen und eines Abends, während einer hitzigen Diskussion über Sinn und Sinnlichkeit ihres Daseins, an den testosterongesteuerten Maler Juan (Javier Bardem) geraten.
Er lädt sie zu einer Spritztour an die Atlantikküste ein, ins Bett will er eigentlich mit beiden gleichzeitig. Da Cristina allerdings den Wein nicht verträgt, bleibt nur Vicky, die sich natürlich prompt in den Macho verliebt.
Der Macht der Gefühle will sie sich aber nicht ergeben. Zurück in Barcelona stürzt sie sich in ihre Arbeit und Juan wiederum auf Cristina, die das Künstlerleben an seiner Seite genießt, bis María Elena (Cruz), seine Ex, die Idylle stört.
Die krankhaft eifersüchtige und deswegen extrem suizidgefährdete Furie will Juan zurück. Als der sich weigert, Cristina vor die Tür zu setzen, zettelt sie eine Menage à trois an, in deren Sog sich die drei vollends verlieren.
Allen beleuchtet mit "Vicky Cristina Barcelona" die unterschiedlichen Spielarten der Liebe und die darauf aufbauenden Lebenskonzepte. Er kehrt dabei zu einer unaufgeregteren Erzählweise zurück, lässt den episodenhaften Reigen behutsam vor sich hinplätschern, was den Neurosen seiner Hauptfiguren mehr Raum und dadurch auch wieder mehr Wahrhaftigkeit gibt als in seinen letzten Filmen.
Im Endeffekt wird jeder, Vicky, Cristina und auch Juan, an seinem Idealbild verzweifeln und trotzdem in seinem Trott verharren. Mit spürbarer Lust lässt Allen sie geschliffen lamentieren und wollüstig, insbesondere Cruz und Johansson, übereinander herfallen.
Das ist altersweise, aber auch ein wenig altersgeil. Solange Woody wieder amüsiert, sei es ihm gegönnt.
Wertung: 4 von 5 Sternen.