Zensur Korrektheit kontra Kunstfreiheit
Velberts Bürgermeister hat im Rathaus ein Ausstellungsfoto abgehängt, weil es eine Ordnungswidrigkeit zeigt.
Velbert/Düsseldorf. Der Schulleiter findet, die Sache sollte nicht weiter aufgebauscht werden, für die Kunstlehrerin gehört das Foto in die Ausstellung zurück, für die 16-jährige Aline Dahm bleibt die Aktion des Bürgermeisters ein „Schlag ins Gesicht“, wie ihre Mutter es formuliert: Dirk Lukrafka (CDU), seit 2014 Bürgermeister in Velbert, hat im Rathaus ein Bild aus einer Schüler-Ausstellung abhängen lassen, weil es nach seiner Ansicht für „Missverständnisse“ hätte sorgen können.
Schüler der Jahrgangsstufe 11 des Nikolaus-Ehlen-Gymnasiums hatten im Rahmen eines Kunstprojekts mit dem Titel „Grenzfälle 2.0“ fotografisch Um- und Tabubrüche an der Grenze von der Kindheit zum Erwachsensein in Szene gesetzt. Aline Dahms Foto (siehe oben) zeigt zwei Mädchen, die sich auf einem Spielplatz mit Bierflaschen zuprosten — zuviel für das Rathaus, befand Lukrafka. Er ließ das Bild mit der Begründung abhängen, es zeige „eine Ordnungswidrigkeit und hätte auf dem Weg zum Jugendamt hängend für das Missverständnis gesorgt, dass wir als Stadt so etwas akzeptieren“.
Der Velberter Fall ist nur das jüngste Beispiel einer immer häufiger um sich greifenden Kunst-Zensur, die ihre willkürlichen Eingriffe in Ausstellungen mit dem vermeintlichen Vorrang politischer Korrektheit begründet. Den Kunsthistoriker Raimund Stecker, lange Direktor des Düsseldorfer Kunstvereins und des Wilhelm-Lehmbruck-Museum in Duisburg, überrascht das wenig: „Wir leben in einer protestantischen Moralzeit, und je geringer die künstlerische Bildung und das Interesse bei Verwaltungsmitarbeitern ausgeprägt ist, um so größer ist ihre Bereitschaft, zuzuschlagen.“
Im vergangenen Sommer erlebte Stecker, wie der Oberbürgermeister seiner Heimatstadt Duisburg die Installation „Totlast“ des renommierten Künstlers Gregor Schneider verhinderte. Sören Link (SPD) fühlte sich von der begehbaren Skulptur, die mit dem Besucher-Erlebnis der Enge und Panik spielte, an die „Loveparade“-Katastrophe erinnert - mit der Schneiders Arbeit nichts zu tun hatte. Der gelernte Diplom-Verwaltungswirt, der formal nicht einmal zuständig war, entschied: „Duisburg ist noch nicht reif für ein Kunstwerk, dem Verwirrungs- und Paniksituationen immanent sind“ — und gab damit sich und die Stadt bundesweitem Gespött preis.
In Oberhausen befand sich im November 2014 der Gebäudemanager des Rathauses für zuständig, Bilder aus einer Ausstellung der Künstlerin Maria Mancini abhängen zu lassen: Zu viel nackte Haut. Bürger auf dem Weg zur Einwohnermeldestelle könnten daran Anstoß nehmen. Immerhin der Kulturdezernent protestierte: das sei Zensur.
In einer Volkshochschule in Berlin-Marzahn ließ der Schulleiter 2013 sechs Frauenakte aus einer Ausstellung entfernen, weil muslimische Flüchtlingsfrauen sich auf dem Weg zum Sprachkurs davon gestört fühlen könnten. Erst nach politischem Protest kehrten die Bilder zurück.
Im Februar verbot das Kunst-Kuratorium der Hamburgischen Finanzbehörde einer Künstlerin, Fotos von einer mit einer Burka verhüllten Barbie zu zeigen: Dies könne die Gefühle muslimischer Mitbürger verletzen. Der politisch korrekte Puritanismus mache auch vor Museen nicht halt, so Kunsthistoriker Stecker: „Es wird diskutiert, Expressionisten abzuhängen, denen man Pädophilie vorwirft, weil sie 14-jährige nackte Mädchen gemalt haben.“
Bürgermeister Lukrafka teilte am Mittwoch mit, er bleibe bei seiner Entscheidung.