Peter Kurth und Peter Schneider ermitteln im „Polizeiruf“ nach einem Kindsmord in Halle/Saale Liebe und Hass in der Vorstadt

HALLE · . „Alkohol macht oft den Teufel in uns munter“, sagt Kommissar Henry Koitzsch (Peter Kurth) – und geht damit ziemlich unsensibel einen Vater an, der gerade vom Tod seines Kindes erfahren hat. Koitzsch weiß, wovon er spricht.

Kommissar Henry Koitzsch (Peter Kurth, M.) tröstet die Schulleiterin Monika Hollig (Susanne Böwe). Sein Kollege Michael Lehmann (Peter Schneider) hält sich respektvoll im Hintergrund.

Foto: dpa/Felix Abraham

Er hat selbst mit diesem Muntermacher zu kämpfen. Kurz zuvor ist er alkoholisiert am Steuer erwischt worden. Der Kollege von der Streife erschrak, als er ihn erkannte. Der altgediente Kommissar ist bei der Polizei in Halle an der Saale eine Institution, ausgebildet noch zu DDR-Volkspolizei-Zeiten. „Willst du uns drohen, Vopo?“, fragt ihn später der Wortführer einer aufgebrachten Bürgerwehr – und kassiert zur Antwort einen schmerzhaften Kopfstoß.

Koitzsch und sein jüngerer Kollege Michael „Michi“ Lehmann (Peter Schneider) bekommen es in der „Polizeiruf 110“-Episode „Der Dicke liebt“ mit einem schweren und belastenden Fall zu tun. Die achtjährige Inka ist verschwunden, ihre Leiche wird nach einiger Zeit in einer Kleingartenanlage gefunden. Todesursache: Genickbruch. Der Rechtsmediziner stellt eine versuchte Penetration mit einem Gegenstand fest. Außerdem: „Der Täter muss ein ziemliches Gewicht gehabt haben.“

Spätestens bei diesem Satz, aber eigentlich bereits seit den ersten Szenen im Klassenzimmer wird der beleibte Mathematiklehrer Krein (Sascha Nathan) zum Hauptverdächtigen. Ist das engagierter Unterricht oder schon übergriffig, wie er mit der kleinen Juli (Romy Miesner) spricht, wie er sie sanft berührt? Krein erteilt Juli auch Nachhilfeunterricht – so wie er es für Inka ebenfalls tat. Ein dicker, schwitzender Mann mit auffälliger Hingabe für kleine Kinder – dieser von Sascha Nathan eindrucksvoll gespielten Figur traut man die Tat zu. Und befindet sich mit den eigenen Ressentiments prompt in einer Gesellschaft mit der Bürgerwehr, die Krein terrorisiert. Die vermeintliche Gewissheit gerät damit wieder ins Wanken, weil der Mob bitteschön nicht Recht behalten soll.

Nach der Premiere dauerte es drei Jahre, ehe das neue Ermittler-Team aus Halle in Sachsen-Anhalt nun den zweiten Film vorlegt. Und wieder haben der in Halle geborene Schriftsteller Clemens Meyer („Als wir träumten“, „Im Stein“) und Thomas Stuber, der auch Regie führte, das Drehbuch geschrieben. Beide arbeiteten schon bei den preisgekrönten Kinofilmen „Herbert“ (mit Peter Kurth) und „In den Gängen“ (mit Franz Rogowski und Sandra Hüller) zusammen.

Auch ihr aktueller „Polizeiruf“ ist kein gewöhnlicher Krimi, sondern ein von starken Figuren getriebenes Drama. Stuber inszeniert die Tragödie in einem Hallenser Vorstadtviertel über weite Strecken eher distanziert, ohne übertrieben ausgestellte Emotionen. Die Auflösung des Kindesmords gerät dann allerdings schonungslos und in seiner Direktheit auch etwas grenzwertig. Herausragend mal wieder das Spiel von Peter Kurth, der den erfahrenen, einsamen Kommissar Koitzsch meist zurückhaltend und doch mit enormer Präsenz verkörpert. Etwas Humor – und mit Jack Londons „König Alkohol“ auch ein literarisches Zitat – hat die Eingangsszene zu bieten, als Koitzsch wegen seines Drogenproblems beim Polizeipsychologen antreten muss.

Ein Wiedersehen gibt es auch: Die Lehrerin Monika Hollig, mit der sich der Kommissar bei einem anfangs leicht verunglückten Date im ersten Film getroffen hatte und die von Kurths Ehefrau Susanne Böwe gespielt wird, ist stellvertretende Leiterin der Schule von Inka, Juli und Herrn Krein. Koitzsch neigt in diesem bedrückenden Fall zu Alleingängen, will offenbar seinen Kollegen Lehmann, einen gläubigen Familienvater mit drei Kindern, schonen. Lehmann hat sich als Quereinsteiger zum Polizisten umschulen lassen, doch er bringt aus seiner früheren Karriere eine in diesem Fall besonders hilfreiche Qualifikation mit: die Fähigkeit zuzuhören.

„Polizeiruf 110 – Der Dicke liebt“, ARD, 21. April, 20.15 Uhr