Blick über den Tod hinaus

Das Museum Ludwig bietet eine Sensation: 24 Bilder von Paula Modersohn-Becker im Vergleich zu ägyptischen Mumienporträts.Die lebensnahen Bildnisse, die Paula im Louvre sah, waren in der Regel bereits zu Lebzeiten mit Wachs- oder Temperafarbe auf dünnen Holztafeln entstanden.

<strong>Köln. Vier Mal fuhr Paula Modersohn-Becker im Laufe ihres kurzen Lebens (1876 bis 1907) nach Paris, um von den Birken und Bauernkindern aus Worpswede los zu kommen. Beim zweiten Besuch, 1903, hatte sie ihr Aha-Erlebnis. Sie sah im Louvre ägyptische Mumienporträts aus dem 1. bis 4. Jahrhundert, aus der Zeit der Kleopatra also. Sie wurden zu ihren Vorbildern, ihren Inspirations- und Energiequellen. Sie gaben ihrer Malerei jene Kühnheit, die sie zu einer Wegbereiterin der Moderne in Deutschland machte. Jetzt sind die Quellen und die Ergebnisse im Kölner Museum Ludwig zu sehen. Aus aller Herren Länder holte Rainer Stamm, Leiter der Kunstsammlungen Böttcherstraße und des Paula-Modersohn-Becker-Museums, zu ihrem 100.Todestag die antiken Kostbarkeiten zunächst nach Bremen, um ihnen Arbeiten der Künstlerin gegenüber zu stellen. Auf engem Raum, fast wie in Katakomben, sind die Arbeiten jetzt in Köln gehängt. Der Dialog über zwei Jahrtausende hinweg ist spannend und großartig. Die Bildnisse der Modersohn und die Köpfe der Ägypter wirken wie die ewige Jugend. Die Gesichter schauen den Betrachter fast frontal aus großen, dunklen, flächigen Augen an. Sie bezeugen Fremdheit, Einsamkeit und Unnahbarkeit in fernen und in nahen Bildern. Sie erstaunen und erschrecken.

Bemalte Holztafeln wurden auf die Toten gelegt

Zwitter sind die Mumienporträts wie die Porträts. Die Vorbilder entstammen der römischen Kolonie Ägypten, nachdem Kaiser Augustus im Jahre 30 vor Christus die Schlacht von Actium gewonnen hatte. Die Römer übernahmen in den folgenden Jahrhunderten den Totenkult, aber kombinierten ihn mit ihrer eigenen, römischen Malerei. Die lebensnahen Bildnisse, die Paula im Louvre sah, waren in der Regel bereits zu Lebzeiten mit Wachs- oder Temperafarbe auf dünnen Holztafeln entstanden. Nach dem Tod der Porträtierten wurden die sterblichen Überreste einbalsamiert und mit Stoffbinden bedeckt, bevor man sie mit den bemalten Holztafeln bedeckte. Sie sind so frisch und glanzvoll mitsamt dem Schmuck und der Haartracht geblieben, als besäßen sie tatsächlich das ewige Leben. Wie Picasso durch die Begegnung mit der Kunst der afrikanischen Ureinwohner zum Avantgardisten wurde, so Paula durch die Maskenbildnisse. In beiden Fällen geht es um den inneren Kern menschlichen Seins, die überindividuelle Frage nach der Existenz des Menschen. Modersohn-Becker erzeugt eine Sinnbildlichkeit, die die Wirklichkeit im Bild übertrifft. Es gibt eine ganze Reihe von Selbstbildnissen, auf denen sie die Hand am Kinn hält, als sei das Gesicht eine Maske, die sie nur abnehmen muss, um hinter die Oberfläche zu gelangen. Die antiken Darstellungen sind in Enkaustik entstanden, mit Tempera oder mit in Wachs gebundenen Pigmenten. Für den Farbauftrag wurden die Wachsfarben verdünnt mit dem Pinsel aufgetragen oder mit erwärmten Spachteln in stark pastosem Auftrag neben- und übereinander gesetzt. Modersohn-Becker trug die Temperafarben dick auf und ging dann mit dem Pinselstiel in die Malmasse. So entstand eine Art Patina mit leichten Unregelmäßigkeiten, aber auch ein neues antinaturalistisches Stilmerkmal

Modersohn-Becker

Vita: Paula Becker wird 1876 in Dresden geboren, 1888 übersiedelt die Familie nach Bremen. 1893 bis 1895 besucht Paula das Lehrerinnenseminar in Bremen, seit 1898 studiert sie in Berlin und zieht anschließend nach Worpswede. 1901 heiratet sie den Maler Otto Modersohn. 1903 lernt sie auf ihrer zweiten Paris-Reise den "Saal antiker Bilder" kennen. 1907 stirbt sie nach der Geburt ihrer Tochter Mathilde.

Ausstellung: Museum Ludwig, Heinrich-Böll-Platz, Köln, bis 15.6., di - so 10 - 18, jeden 1. Freitag im Monat bis 22 Uhr. Katalog Hirmer Verlag, 29 Euro.