Kirchners Geburtshaus wird Kulturzentrum

Aschaffenburg (dpa) - In nur vier Sätzen schlug der Maler Ernst Ludwig Kirchner den Bogen von seinem Geburtsort Aschaffenburg zum Kern seines künstlerischen Schaffens.

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„Ich bin am Bahnhof geboren. Das erste was ich im Leben sah, waren die fahrenden Lokomotiven und Züge“, notierte er. „Sie zeichnete ich, als ich 3 Jahre alt war. Vielleicht kommt es daher, dass mich besonders die Beobachtung der Bewegung zum Schaffen anregt.“

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Für die Kunsthistorikerin Brigitte Schad ist das Zitat ein Beispiel dafür, welche Bedeutung Kirchner seiner Kindheit in Aschaffenburg zumaß. Doch der Ort dieser Weichenstellung, das Geburtshaus des Künstlers gegenüber dem Bahnhof, fand lange kaum Beachtung. „Das war alles in einem erbarmungswürdigen Zustand“, erzählt Schad: eine Spielhalle im Erdgeschoss, das Gebäude etwas heruntergekommen. Bis sich eine Gruppe von Kunstfreunden der Sache annahm. Jetzt ist das Haus renoviert, im mutmaßlichen Kinderzimmer Kirchners gibt es ein kleines Dokumentationszentrum, im Erdgeschoss einen Ausstellungsraum.

„Das ist für uns weltweit ein Alleinstellungsmerkmal“, betont Schad, die Vorsitzende des Vereins Kirchnerhaus. Werke des Expressionisten knacken bei Auktionen die Millionen-Marke, er gilt als einer der wichtigsten deutschen Maler des 20. Jahrhunderts.

Ernst Ludwig Kirchner wurde 1880 geboren, sechs Jahre wohnte er in Aschaffenburg. Im Kinderzimmer im ersten Stock ist jetzt wieder gut vorstellbar, wie der Junge einst mit großen Augen am Fenster stand. Tafeln erzählen von den Kindheitsjahren und den Stationen seines späteren Lebens: die legendäre Künstlergemeinschaft „Brücke“, seine berühmten Berliner Straßenszenen, die Zeit in der Schweiz, seine Ächtung durch die Nationalsozialisten und der Selbstmord 1938.

Der Ausstellungsraum ist dagegen zum Teil noch ein Provisorium. Für die Eröffnung am 7. Februar wurde zusammengewürfeltes Mobiliar herbeigeschafft, das erste eigene Kirchner-Original - die beidseitig bemalte Zeichnung „Tänzerinnen“ von 1927 - kann mangels Alarmanlage vorerst nicht dauerhaft ausgestellt werden. Trotzdem: „Das ist ein wichtiger Schritt“, betont Schad. „Wir haben sehr dafür gekämpft.“

2010 hätte die Stadt Aschaffenburg ihr Vorkaufsrecht für das denkmalgeschützte Gebäude nutzen können, doch der Stadtrat entschied dagegen. Stattdessen sprang die private Initiative ein, wohlwollend begleitet von der Fachwelt. Auch der neue Besitzer kam den Kirchner-Freunden entgegen: Das Haus wurde renoviert, die Spielhalle zog nach nebenan, im Geburtshaus ist nun neben dem Verein das archäologische Spessartprojekt der Universität Würzburg zuhause.

„Da ist eine sehr gute Lösung gefunden worden“, lobt Thomas Richter, Direktor der städtischen Museen. „Das hätte die Stadt in Eigenregie überfordert.“ Aschaffenburg will ein neues Museumsquartier schaffen und hat somit selbst eine kulturelle Großbaustelle vor sich.

Die Stadt zahlt dem Verein nun 700 Euro Mietzuschuss im Monat, die übrigen 400 Euro bringen bislang die Vorstandsmitglieder privat auf. Sie sind in Verhandlungen über Landesförderung und Sponsoren, wollen die Räume auch mit der nötigen Museumstechnik aufrüsten, um bald echte Kirchner-Werke ausstellen zu können. Bis dahin sind Vorträge und Veranstaltungen geplant.

„Für uns hat sich damit ein Traum erfüllt“, sagt der Designer Udo Breitenbach. Die Kunstfreunde hoffen, mit dem Geburtshaus Aschaffenburgs Rolle in Kirchners Leben bekannter zu machen - und auch in der Stadt selbst für den großen Sohn zu werben. „Wenn im New Yorker MoMA ein Kirchner-Bild ausgestellt wird, steht dort: geboren in Aschaffenburg“, sagt Brigitte Schad. „Ich bin immer auf sehr viel Unverständnis gestoßen, weil das hier nicht hochgehalten wurde.“