Für die Seele Unsere Musiktipps für die Corona-Zeit
Düsseldorf · Um die Ausbreitung des Coronavirus zu bremsen, steht das öffentliche und soziale Leben still. Doch nicht nur Netflix und Co. können eine Ablenkung sein, sondern auch Musik. Wir geben Tipps.
Ein Kollege tut es an seinen freien Tagen regelmäßig: Er legt originale Platten aus den 70ern auf. Entspannt lauscht er bei einem Espresso den Stücken, die den Raum nicht nur mit Musik füllen, sondern auch mit Erinnerungen. Natürlich hat nicht mehr jeder einen Plattenspieler. Daher haben wir für Zeit in den eigenen vier Wänden auch Tipps für CD und DVD gesammelt.
„All this time“ von Sting (2001): Ein Spätsommerabend in einem Innenhof eines Landhauses in der Toskana. Sting betritt die Bühne, und das ist alles andere als selbstverständlich. Es ist der 11. September 2001, wenige Stunden zuvor haben Terroristen Passagierflugzeuge in ihre Gewalt gebracht und in die Türme des World Trade Centers in New York gesteuert. Gordon Matthew Thomas Sumner spielt zu Beginn das Lied „Fragile“, das er 1987 veröffentlicht hat und das in diesem Moment so passend klingt, als hätte er es an diesem Tag geschrieben. Bei aller Pietät geht es nicht nur bedächtig zu, es wird getanzt, geklatscht und gejubelt. Das Konzert, das auch als CD veröffentlicht wurde, ist am eindrucksvollsten als DVD. Ergänzend wird darauf auch dargestellt, wie die Musiker mit sich gerungen haben, an diesem Abend aufzutreten. jaw
„Canaries in a Coal Mine“ von Bukahara (2020): Die Annäherung an das brandneue Album der Kölner Band Bukahara muss über das offizielle Video erfolgen. Es ist dem ersten Stück des Albums gewidmet, das ausgerechnet „Happy“ heißt. Und was die beglückende Wirkung in unglücklichen Zeiten noch mehr verstärkt, ist das, was dieses Video zeigt: eine selbstvergessen und befreit tanzende Risikogruppe.
Die Alten, die sich für diese herzergreifenden Aufnahmen zur Verfügung gestellt haben, erzählen davon, dass ihre Altersgruppe mehr zu bieten hat, als Objekt unserer Sorgen zu sein. Musik und Bilder verschmelzen zum 3:40 Minuten dauernden Gegenmittel gegen unsere Trübsal. Und der Pfau auf dem Cover verspricht, dass wir auf den elf Stücken der international zusammengesetzten Band von Multi-Instrumentalisten noch mehr bunte Vögel entdecken werden. (Zu bestellen über bukahara.com; die Release Tour zum Album ist auf den Herbst verschoben worden.) er
„Stronger than Pride“ von Sade (1988): Die ganze Welt war in den 80er Jahren schockverliebt in sie: Helen Folasade Adu, besser bekannt als Sade. Die nigerianisch-britische Sängerin hauchte ihren „Smooth Operator“ durch sämtliche Bars. Ihr Mega-Hit klang nach großer weiter Welt und beschrieb einen Typ, dem man in einer Kleinstadt nie begegnet. Sade verkaufte damals 50 Millionen Alben. Ihr Stil stach heraus: In einer Zeit, die vor Selbstinszenierung, quietschbunter Oberfläche und lauten Synthesizern nur so strotzte, war sie diese umwerfende, sommersprossige Erscheinung – mit unterschwelliger Arroganz und einer Stimme so soft wie Karamelleis. 1988 veröffentlichte die heute 61-jährige Sängerin „Stronger than pride“. Wer die Platte heute hört, möchte sich sogleich einkuscheln – in diese Zeiten und Erinnerungen aus den Achtzigern. Auch wenn Jungs die jazzig-soften Soullieder damals leichtfertig als Schnulzen belächelten, die Musik von Sade tröstet. Und das tut sie auch heute noch. E.S.
„Live at Rome“ von Muse (2013): Muse sind irgendwie immer grandios. Und live sind sie noch grandioser, noch bombastischer. Auch wer nicht unbedingt Fan der Band ist, sollte sich in diesen Tagen „Live at Rome, Olympic Stadium“ ansehen. Im Jahr 2013 schnitten die Musiker um Matthew Bellamy das Konzert in Rom live mit und machten einen Film daraus. Welch Stimmung, welch Glück, welch Lebensfreude die Italiener der britischen Band in diesem riesigen Stadionrund entgegenschleudern und wie die drei Jungs jeden Funken zurückgeben – das ist mit Blick auf die aktuelle Lage im Land herzzerreißend. Und daher um so wichtiger, sich daran zu erinnern. Weil wir tief im Herzen hoffen und wünschen, dass diese Zeiten voll Lebensfreude wiederkommen. In Italien und überall auf der Welt. alu
„Shades of Black“ von Kovacs (2015): Wer den melancholischen Soundtrack zur Corona-Krise sucht, sollte Kovacs finden. Sharon Kovacs. Die Stimme: tief, rauchig, wissend, ein bisschen Amy Winehouse, ein bisschen Shirley Bassey, aber vor allem ganz viel Kovacs. Die Musik auf „Shades of Black“: sorgsam instrumentiert im Stile großer James-Bond-Songs, aber auch gefüllt mit Kovacs‘ persönlicher Geschichte. Die junge niederländische Sängerin mit den raspelkurzen Haaren arbeitet sich an einer unglücklichen Liebe ab. „My Love“ ist mein persönlicher Favorit. So schön, so traurig. Krisenmusik eben. alu
„Spirit of Eden“, von Talk Talk (1988): Es ist ja gerade ein Jahr her, dass der britische Sänger Mark Hollis das Zeitliche segnete. Das wirklich einzig Gute am Tod ist die neue Vergegenwärtigung des Gelebten – und so ist Hollis, Frontmann der 80er-Jahre-Band Talk Talk, dem Verfasser dieser Zeilen wieder in Erinnerung geraten, was gesetzmäßig ziemlich schnell die Beschäftigung mit dessen musikalischem Werk nach sich zieht. Seither läuft „Spirit of Eden“ in ruhigen Momenten, in denen ein bisschen Zeit da ist. Eine minimalistische Platte fernab des viel gespielten Hits „Such a shame“. Filigran, stark instrumentell, mit Ausbrüchen und der exotischen Stimmgewalt von Hollis. Eine echte Neuentdeckung, 32 Jahre alt, was den Wert von Musik noch einmal verdeutlicht in diesen nicht ganz leichten Zeiten: Die Adaption von Musik verändert sich mit dem Leben, das dazu kommt. Vielleicht in der Zeit der Pandemie in vielerlei Hinsicht eine Strategie, die man bei allerlei anderen Bands noch einmal überprüfen könnte. kup