Museum Kunstpalast Düsseldorf Utopie und Untergang in der DDR-Kunst

Düsseldorf · Eine große Schar von Meisterwerken der Haupthelden aus Ostdeutschland hat der junge Kurator Steffen Krautzig im Düsseldorfer Museum Kunstpalast versammelt.

. Die Kunst der DDR lebt trotz der schweren Bedingungen, unter denen sie im SED-Staat entstanden ist. Der Düsseldorfer Kunstpalast widmet ihr unter dem Motto „Utopie und Untergang“ eine spannende Schau, die unter der Schirmherrschaft von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier steht. Bei der Vernissage am Mittwochabend bat er um mehr Selbstkritik im Westen. Es seien in der Vergangenheit vielleicht zu oft Fehler gemacht worden, die Kunst aus Ostdeutschland allein unter politischen Gesichtspunkten zu betrachten.

Die Kunsthalle Düsseldorf hatte zwar schon 1983, mitten im Kalten Krieg, den „Zeitvergleich“ gewagt, aber Werner Schmalenbach stand ihr als Chef der Landesgalerie reserviert gegenüber und hielt sich den Ostkunst-Sammler Peter Ludwig vom Hals. Erst sein Nachfolger Armin Zweite holte dann Altenbourg und Heisig ins Haus.

Im Rheinland gab es mächtige Gegner. Georg Baselitz quittierte die ersten DDR-Künstler auf der Documenta 1977 als „Arschlöcher“. Als 1992 Walter Jens als Präsident der Westberliner Akademie der Künste seine DDR-Kollegen pauschal aufnahm, protestierten Gotthard Graubner, Markus Lüpertz, Heinz Mack und Gerhard Richter. Der Düsseldorfer Akademieprofessor Siegfried Gohr inszenierte noch 2009 den Kulturkampf zwischen West und Ost. Und im Schloss Oberhausen gab man die DDR-Kunst nach Leipzig und Nürnberg zurück, weil diese Thematik nicht zum Profil des Hauses passe.

Der Düsseldorfer Kurator Steffen Krautzig (Jg. 1977) beweist, wie sehr die Ostkunst Funken schlägt. Als er vom Museumschef Felix Krämer gefragt wurde, ob er sich eine Schau der Ostkunst vorstellen könne, hatte er noch 18 Monate Zeit. Außerdem ist es seine erste eigene Ausstellung. Er ging das Risiko ein und holte eine solche Anzahl von Meisterwerken ins Haus, dass es eine spannende Schau geworden ist. Sie verdient Lob.

Krautzig beginnt beim Altvorderen Wilhelm Lachnit, der 1919 die Dresdner Sezession mitbegründete und 1946 an der ersten und letzten gesamtdeutschen Ausstellung in Dresden teilnahm. Er gilt als einflussreicher Lehrer. Seine „Gliederpuppe“ (1948) trägt Maske und weiße Handschuhe. Sie gestikuliert wie ein Phantom im klassischen Interieur. Eine ähnliche Stimmung herrscht in „Verlorene Illusion“ (1946/47) der Elisabeth Voigt. Eine junge Frau mit Strohhut sitzt wie vor ihrer Reise im Zimmer, aber findet keinen Absprung vor lauter Lethargie. Der Älteste dieser Riege, Hermann Glöckner, gilt als standhafter Konstruktivist im Land des Realismus.

Die sächsische Viererbande brilliert in der Düsseldorfer Schau

Gerhard Altenbourg ist durch die Monografie von Armin Zweite in K 20 bestens bekannt. Sein monumentales Blatt „Ecce homo“ von 1949 zeigt einen ausgemergelten Menschen, die knöcherne Hand auf dem seelisch verwundeten Herzen. Sein Hauptwerk ist „Diese Sibylle, die Nacht“ von 1981. Ein graublauer Kopf als Silhouette ist auf handgeschöpftes, blaues Chinapapier aufgetragen, aber die göttliche Seherin blickt aus einem recht kleinen Auge. Das Bild hat seit seiner Präsentation in der Kunsthalle, anno 1983, nichts von seinem Geheimnis verloren.

Die sächsische Viererbande ist mit Willi Sitte, Wolfgang Mattheuer, Werner Tübke und Bernhard Heisig bestens vertreten. Heisigs Panorama „Christus verweigert den Gehorsam“ (1984-1986) ist in den Farben und im politischen Gehalt grandios. Der temperamentvolle Sohn Gottes reißt sich mit beiden Händen die Dornenkrone vom Kopf, als wolle er nicht mehr mitspielen bei der These, dass „doch alles so weise eingerichtet“ sei, wie eine Banderole mitten im Bild behauptet. Von Heisig stammen Inkunabeln wie „Fritz und Friedrich“ (1986/88) mit dem Vater-Sohn-Konflikt zwischen Friedrich Wilhelm I. und seinem Sohn, dem späteren Friedrich II. Der Ältere will den Jüngeren ertüchtigen, indem er vor dessen Augen seinen Jugendfreund Hans Hermann von Katte töten lässt.

Heisig ist nicht nur ein feuriger Erzähler, sondern auch ein genauer Porträtist. Das wird im Kanzler-Bild von Helmut Schmidt und mehr noch im Mutter-Portät vor dem brennenden Dresden deutlich. Gottergeben sitzt die Alte in ihrem Blüschen da, die Hände gefaltet, den Blick ins Nirgendwo schweifend.

Wolfgang Mattheuer gilt heute als Epochenmaler. Das war nicht immer so. In der DDR wurde er offiziell geschätzt, insgeheim beargwöhnt, in der Bundesrepublik als Systemkritiker gefeiert, nach der Wende als Staatsmaler diffamiert. Heute fehlt er in keinem wichtigen deutschen Museum. Sein berühmtestes Bild ist „Die Ausgezeichnete“. Eine verhärmte, ältere Frau sitzt einsam am breiten Tisch mit weißem Altartuch und fünf abgezählten Tulpen. Kein Orden, kein Lächeln. Hinter ihr ist die Wand braun geblieben.

Die „Flucht des Sisyphos“ gibt der Ausstellung das Motto

„Die Flucht des Sisyphos“ (1972) ist ein weiteres Highlight. Ein Arbeiter in Blaumann-Hose, ein bloßes Hemd auf dem muskulösen Oberkörper, setzt zum Sprung über eine Stange hinweg ins Tal an. Aber der Sprung geht ins Leere. Der Kerl schwebt. Der Mensch mit der Maske im Hintergrund kann sich nur wundern. Und der Stein ist nicht der des Sisyphos, der ihn wieder nach oben schieben könnte, sondern es ist die Weltkugel selbst, eine Art Marslandschaft. Ein doppeldeutiges Bild wie alle Werke dieses Symbolisten.

1984/91 lässt er im „Seltsamer Zwischenfall“ Ikarus zerschellen, während die Touristen im Bus der ungarischen Marke Ikarus neugierig zuschauen. Ein Fazit zieht Mattheuer 1990 in „Angekommen“. Es ist kein Jubelschrei der Wiedervereinigung. Der Regenbogen ist nur das Fragment eines Hoffnungszeichen. Die Stadt ist voller fiktiver Firmenlogos, im Hintergrund aber reicht die Einöde bis zu den Gipfeln der Berge.

Werner Tübke durfte dank seines Mailänder Galeristen Emilio Bertonati schon 1971 zu seiner ersten Einzelausstellung nach Italien fahren. Dort holte er sich das Motiv zum Gemälde „Sizilianischer Großgrundbesitzer mit Marionetten“. Ein Bild im Bild im Stil von Manierismus und Renaissance, mit einem lässig am goldenen Fensterrahmen lehnenden Dandy, umgeben von exotischen, großen Marionetten. Das Bild erregte 1977 auf der documenta 6 in Kassel Aufsehen. Herrlich auch sein Selbstbildnis mit roter Kappe von 1988, als er nach elfjähriger Tätigkeit am Panoramabild in Bad Frankenhausen den Höhepunkt seiner Laufbahn erreicht hatte und leicht herablassend auf den Betrachter schauen konnte.

A.R.Penck, der spätere Heroe des Kunstmarkts, ist mit dem „Übergang“ (1963), dem Sinnbild der deutsch-deutschen Teilung, vertreten. Weitere Werke stammen von Cornelia Schleime, Angela Hampel und Michael Morgner.