Barenboim auf Friedenstour in Gaza
Gaza (dpa) - Schwer bewaffnete Polizisten, zerschossene Fassaden, Häuser in Trümmern: Als Daniel Barenboim auf seiner Fahrt durch Gaza aus dem Fenster des Kleinbusses blickt, schüttelt er den Kopf. „Wir sind nur 45 Minuten von Tel Aviv entfernt - und das ist eine andere Welt.“
Mit rund 30 Musikern aus Europa ist der Maestro am Dienstag unterwegs durch das eingesperrte Palästinensergebiet. Zu seinem ersten Konzert in Gaza-Stadt warten rund 400 Zuhörer auf ihn. „Wir wollen ein Zeichen gegen die kulturelle Blockade setzen“, sagt der Dirigent auf seiner Mission durch das karge Land.
Nach knapp einer Stunde Fahrt erreicht die Gruppe das Archäologische Museum von Gaza-Stadt. Dutzende von Kameraleuten warten bereits. „Wir sind hier als Friedensbotschafter und möchten zeigen, dass Menschen in Europa sich um Euch sorgen“, erklärt Barenboim. Die Menschen stehen auf und spenden dem Orchester - Musikern von der Staatskapelle Berlin, den Berliner Philharmonikern, den Wiener Philharmonikern, dem Orchestre de Paris und der Mailänder Scala - Ovationen im Stehen.
Als dann Mozarts „Kleine Nachtmusik“ erklingt, wippen Schulkinder auf ihren Sitzen, die Klingeltöne verstummen, aus Handys werden Videokameras. Nach jedem Satz regen sich die Hände zum Beifall. Und als schließlich die ersten Takte von Mozarts Symphonie Nr. 40 ertönen, geht ein Raunen durch den Saal. In der arabischen Welt ist die Melodie ein Hit: Die legendäre Sängerin Fairuz hat Mozart in einem Liebeslied verewigt.
Auf Einladung der Vereinten Nationen und von Nichtregierungsorganisationen ist der israelisch-argentinische Dirigent erstmals in Gaza. Nach dem Tod von Terroristenführer Osama bin Laden hat die Reise zusätzliche Brisanz gewonnen. Bis Montagnacht hing die Friedenstour am seidenen Faden. Stundenlang hatte Barenboim mit der UNO-Mission für Palästina telefoniert, nachdem die Regierungspartei Hamas einmal mehr das Konzert infragegestellt hatte. Ein Musikfest nur zwei Tage nach dem Ende Bin Ladens rief unter den Hamas-Leuten großen Widerwillen hervor. Doch Barenboim blieb stur.
Der Stardirigent ist es gewohnt, sich zwischen alle Stühle zu setzen. Immer wieder hat er sich für die Verständigung im Nahost-Konflikt eingesetzt. Vor zehn Jahren gründete er das West-Eastern-Divan-Orchestra zusammen mit dem palästinensischen Intellektuellen Edward Said. Die beiden hingen einer Friedensutopie nach und wollten sie im Kleinen verwirklichen: Junge Menschen aus arabischen Ländern, aus Israel und Spanien sollten mit dem Musizieren im Orchester eine gemeinsame Sprache erlernen. Das Orchester ist mittlerweile in der ganzen Welt bekannt.
Bisher hatte Barenboim um Gaza einen großen Bogen machen müssen. Zwar hatte er bereits in Tel Aviv und dem palästinensischen Ramallah mit seinen jungen Musikern gespielt, doch das Krisengebiet hatte er nicht betreten dürfen - bis zum Dienstag.
In einer Chartermaschine landeten Barenboim und seine Musiker auf dem eigens für das Konzert wieder eröffneten Flughafen von El Arish. Mit Mozart im Gepäck überquerten die Musiker nach stundenlangem Warten die ägyptisch-palästinensische Grenze. Unter starken Sicherheitsvorkehrungen raste der Konvoi über die Wüste, die Straßen wurden von der Polizei abgeriegelt, die Lage schien brenzlig. Und auch nach dem Konzert musste alles sehr schnell gehen. Nach Angaben von UN-Sicherheitsleuten waren mitten in Mozarts Symphonie Terrordrohungen einer salafitischen Extremistengruppe eingegangen. In Windeseile verließ das Orchester den Saal, und die Autokolonne setzte sich wieder in Richtung ägyptischer Grenze in Bewegung. Dennoch war Barenboim glücklich: „Es war ein phantastisches Erlebnis, all die Mühen haben sich gelohnt“.