Dänemark — zwölf Punkte
Die skandinavische Pop-Elfe Emmelie wird am Samstag gewinnen, sagt unser Experte. Das liegt auch an der schwachen Konkurrenz.
Malmö. Eigentlich möchte man den Buchmachern gern widersprechen. Einfach hier und jetzt einen originellen Favoriten benennen, es besser wissen als der Rest. Geht leider nicht: Die 20-jährige Dänin Emmelie de Forest wird den Eurovision Song Contest (ESC) gewinnen. Das hat drei Gründe.
Erstens ist die Konkurrenz in diesem Jahr so schwach wie selten, eine einfallslose Ansammlung klebriger Schmachtfetzen, billiger Tanznummern und schlechter Kopien früherer Siegertitel. Zweitens legt die zerzauste Emmelie einen zauberhaften Auftritt als Elfe hin, barfuß, in weißen Fetzen, ein scheues Wesen aus dem dunklen Wald. Gelegentlich blitzen ihre Augen ironisch Richtung Kamera, was an Lena erinnert, bloß mit Stimme. Drittens hat sie einen Bombensong im Gepäck: „Only Teardrops“ geht trotz Hirtenflöte sofort ins Ohr und in die Beine.
Die Menschen in 39 Ländern werden dahinschmelzen, sogar auf dem Balkan, wo man aus alter Gewohnheit immer dem Nachbarland die Stimme gibt. Falls die Elfe ihr Zauberpulver in der Garderobe vergisst, stehen andere Skandinavier bereit: der Schwede Robin Stjernberg, der mit dem eingängigen Popsong „You“ als Ein-Mann-Boygroup durchgeht, oder die Norwegerin Margaret Berger, die über düsterem Elektro-Lärm dafür trainiert, wie Björk zu klingen.
Wenn es ganz schlimm kommt, gewinnen Russland oder die Ukraine, die so belanglos pompös daherkommen wie eh und je. Doch das steht einem Sieg nicht im Wege, wie vor zwei Jahren Ell und Nikki aus Aserbaidschan bewiesen haben. Erfolgreiche ESC-Songs müssen, ob sie mit Beats, Bombast oder Brachialgitarren arbeiten, einer strengen Formel gehorchen. Sie heben irdische Pop-Melodien in himmlische Höhen, bis dem Zuhörer schwindlig wird, sie bieten in drei Minuten einen Flug zu den Sternen und zurück.
Wer auf dem Boden bleibt, wird gelegentlich als Geheimfavorit gehandelt, doch gewinnen wird er nie. Diesmal wird das der Niederländerin Anouk mit ihrer düsteren Ballade „Birds“ so ergehen, der Französin Amandine Bourgeois mit „L’enfer et moi“, das wirkt, als habe es Amy Winehouse in eine rauchige Bar gerotzt, und dem Ungarn ByeAlex mit seiner entspannten Ballade „Kedvesem“, die trotz ihrer Coolness und Leichtigkeit das Halbfinale überstanden hat.
Die Vorrunden sorgen seit 2008 immerhin dafür, dass viele Freaks früh aussortiert werden. So bleiben dem Finalpublikum am Samstag Rapper in Raumanzügen (Montenegro), Teenager mit ADHS (Serbien) und Ralph Siegels neue Kreation (San Marino) erspart. Nur ein Pseudo-Vampir aus Rumänien, der zu Discobeats seine hohe Kopfstimme zur Schau stellt, ist übriggeblieben.
Deutschland musste sich, wie die anderen Großfinanziers des ESC und Gastgeber Schweden, nicht vorab beweisen, was schade ist. Denn so wird Cascada mit dem schamlos von Loreen abgekupferten Pop-Desaster „Glorious“ die lange Tradition deutscher Misserfolge erst im Finale fortschreiben — auch wenn sie in den Wettbüros auf Platz acht gehandelt wird. Zugegeben: Auch die dänische Elfe erinnert mit ihrem Verzicht auf Schuhwerk an die Vorjahressiegerin. Doch sie hat wenigstens einen eigenen Song mitgebracht.