Interview Depeche Mode: “Man kann schon sehr sarkastisch werden“
Nach einigen Jahren Pause bringen Depeche Mode wieder ein Album auf den Markt. „Spirit“ soll am 17. März erscheinen. (1/2)
New York. So düster, bedrohlich und hoffnungslos wie auf ihrem vierzehnten Studioalbum „Spirit“ klangen die Briten Dave Gahan (54), Martin Gore (55) und Andy Fletcher (55) wohl noch nie in ihrer mehr als 35 Jahre währenden Weltkarriere. Und so packend auch schon lange nicht mehr. Die überzeugende Platte, die von James Ford (Simian Mobile Disco, Florence & The Machine, Arctic Monkeys) produziert wurde hat richtig Biss, ist vielschichtig und komplex, klingt oft wüst („Scum“) und manchmal auch ganz sanft („Cover Me“, „Eternal“). Erneut stammt der Großteil der Songs von Gore, aber auch Gahan hat wieder vier Stücke beigetragen, das schwülstig-brachiale „You Move“ ist eine Gemeinschaftskomposition der beiden. Wir sprachen mit Sänger Gahan und Multi-Instrumentalist Gore in New York.
- Mr. Gahan, Mr. Gore, ist „Spirit“ das pessimistischste Depeche-Mode-Album aller Zeiten?
Martin Gore: Das Wort „pessimistisch“ kann ich nicht so gut leiden. Ich mag den Begriff „realistisch“ lieber. Wir sprechen die Dinge so an, wie sie sind. Falls das ein bisschen deprimierend rüberkommt, dann tut es mir leid (lacht).
- Mr. Gore, Sie singen auf “Eternal” selbst. Der Song handelt von ihrer kleinen Tochter Johnnie Lee, die vor einem Jahr zur Welt kam. Ein schöner Song, nur: Musste die Zeile „When The Radiation Falls I Will Look You In The Eye And Kiss You“ (Wenn der radioaktive Regen fällt, werde ich dir in die Augen schauen und dich küssen) denn wirklich unbedingt sein?
Gore: Das ist doch romantisch! (lacht) Okay, sagen wir, es ist meine Art der Romantik. Ich denke, wenn du in der heutigen Zeit ein Kind in die Welt setzt, dann musst du immer mit dem Schlimmsten rechnen. Es gibt diese allgegenwärtige Gefahr von allem, Atomkrieg inklusive. Wir haben seit einigen Monaten einen verrückten Mann im größten und wichtigsten Amt der Welt. Wer weiß schon, was da weiter passieren wird.
- Mr. Gahan, ihre Tochter Stella Rose wird im Juli 18. Sind Sie besorgt, in was für einer Welt sie einmal leben wird?
Gahan: Absolut. Die Frage stelle ich mir, auch in Bezug auf meine zwei erwachsenen Söhne. Du willst, dass die Kinder geborgen und in Freiheit aufwachsen. Dass sie sich entscheiden können, wie sie leben wollen. Die Angst, die von Politikern wie Trump verbreitet wird, ist irreal, verrückt. Niemandem ist gedient, wenn auf Minderheiten herumgehackt wird. Überall auf der Welt wollen die Menschen in Frieden, Sicherheit und Freiheit leben. Die Welt lässt sich nicht einteilen in die Guten und die Bösen.
- Die Grundstimmung auf „Spirit“ ist dunkel, traurig und wütend. Ist das Album ein Ausdruck von Sorge, Angst, Wut und Frust angesichts der Entwicklungen auf der Welt?
Gahan: Ja, alles das trifft zu. Vor allem verspüre ich Frust und auch Verunsicherung. Wo soll es hingehen? Wem sollen wir glauben? Wem folgen? Man kann schon sehr sarkastisch werden. Es ist kaum möglich, nicht betroffen zu sein von allem, was du im Fernsehen siehst und was du liest.
- Das Album beginnt mit „Going Backwards“, „Where’s The Revoultion“ und „The Worst Crime“, drei Songs mit explizit politischem Inhalt. Was hat Sie dazu bewogen? Der Brexit? Trump?
Gore: Das Album war schon fertig, als Trump an die Macht kam und schon geschrieben, als die Briten für den Brexit stimmten. Ich denke, die Menschheit ist sehr weit weggekommen von ihrem Pfad. Wir haben einiges von unserem menschlichen Geist verloren, wir haben einige wirklich schlechte Entscheidungen getroffen in den vergangenen Jahren, die ich nur schwer verkraften kann.
- Andy Fletcher lebt in London, Dave Gahan in Manhattan, Martin Gore in Santa Barbara. Es ist wohl kein Zufall, dass…
Gahan:…wir uns alle drei in liberalen Enklaven niedergelassen haben? Sicher nicht. Dort leben wir sehr gern und sehr gut. Wir sind gesegnet, haben Möglichkeiten im Überfluss, aber das heißt nicht, dass wir uns nicht für das interessieren, was um uns herum passiert. Diese Themen haben sehr bewusst auch ihren Weg auf das neue Album gefunden.
- Was hat Sie besonders bewegt?
Gore: Für uns war der Krieg in Syrien ein großes Thema. Wenn wir mit der Arbeit an einem neuen Album beginnen, dann treffen wir uns ja immer erstmal und besprechen in Ruhe, wo wir persönlich so stehen und wie wir die Welt sehen. Andy, Dave und ich sind erschüttert, dass die Welt sich einfach zurücklehnt und dieses Abschlachten aus sicherer Entfernung beobachtet. Wir hatten in den Neunzigern eine ähnliche Situation in Bosnien, aber da gab es wenigsten Versuche, der internationalen Gemeinschaft, Frieden zu schaffen. In Syrien wusch sich der Westen seine Hände in Untätigkeit. Sehr bewegt hat uns auch die „Black Lives Matter“-Kampagne. Wie kann es sein, dass schwarze Menschen in den USA reihenweise von der Polizei erschossen werden? Manchmal sieht es für mich so aus, als hätte es in diesem Land nie eine Bürgerrechtsbewegung gegeben.