Interview Depeche Mode: “Man kann schon sehr sarkastisch werden“

Nach einigen Jahren Pause bringen Depeche Mode wieder ein Album auf den Markt. „Spirit“ soll am 17. März erscheinen. (2/2) Zurück zu Seite 1.

Depeche Mode Album "Spirit" erscheint am 17. März.

Foto: credit Anton Corbijn

- Wo ist sie denn, die Revolution? Warten Sie auf einen Aufstand?

Gore: So einen polarisierenden Machthaber wie Trump habe ich in einer Demokratie noch nicht erlebt. Er macht eine Politik, die von vernünftigen Leuten schlicht für Wahnsinn gehalten wird. Und über den Brexit hätte man niemals eine solche Volksabstimmung mit einfacher Mehrheit machen dürfen. Das war ein gigantischer Fehler. Am Ende ging es ja fast 50:50 aus. Die meisten Leute wussten ohnehin nicht, was sie da zu entscheiden hatten. Ich bin kein Befürworter von Waffengewalt und Blutvergießen, aber mit so einer polarisierenden Figur an der Spitze und in der Mitte komplett gespaltenen Ländern kann es zu einem Punkt kommen, an dem es sehr viel Unruhe gibt.

- Ist „The Worst Crime“ ein Ausblick auf ein solches Szenario?

Gore: Nicht direkt. Der Song, wie eigentlich das komplette Album, ist eher ein Aufruf, uns zusammenzuraufen und auf unseren Weg zurückkehren. Ich will nicht, dass die neue Platte zu depressiv wirkt, sie soll auch kämpferisch sein. Und hier und da mit einem Augenzwinkern.

- Etwa im Video zur Single „Where’s The Revolution“, in dem sie unter anderem Marxisten mit langen Bärten darstellen.

Gore: Ja, es gibt schon mehr Humor als auf den ersten Blick sichtbar. Das Video zu drehen, hat wirklich Spaß gemacht, insbesondere diesen Karl-Marx-Teil.

- Ziehen Sie ihre beeindruckenden Bärte aus dem Clip auch auf der Bühne über?

Gahan: Oh nein. Einmal und nie wieder. Ich bringe ihnen den Bart aber gerne mit nach Deutschland (lacht).

- Bitte sehr. Sie verbringen ja fast den halben Sommer bei uns.

Gahan: Das ist korrekt. Und im Winter werden wir wohl auch noch mal auf der Matte stehen. Das ist schon eine ordentliche Tournee. Ich finde das ja ziemlich geil, dass wir für diese Tour schon über eine Million Tickets verkauft haben, ohne dass das Album veröffentlicht ist.

- Sie klingen so überrascht. Vertrauen die Leute Depeche Mode nicht ohnehin blind?

Gahan: Du musst dich immer wieder neu bewerben und behaupten. Selbstverständlich ist nichts. Natürlich ist ein Vertrauensvorschuss schön, aber die Qualität des Albums sollte dieses Vertrauen unterfüttern und bestätigen. Sonst sind die Leute enttäuscht — auch von uns.

- Es scheint, als ob der Respekt, den die Menschen Depeche Mode entgegenbringen, von Album zu Album zunimmt. Ganz früher galten Sie als Teenieband, inzwischen sind Sie quasi Ikonen. Liegt das am Alter?

Gahan: Auch. Aber nicht nur. Nach all den Jahren ist es für uns kritisch wichtig, ein Album zu machen, das standhalten kann. Dass es wert ist, mit der Musik, die wir über die Jahre gemacht haben, in einer Reihe zu stehen. Nach 35 Jahren deine kreativen Grenzen zu verschieben, ist nicht einfach und manchmal unbequem. Aber das ist eine lohnende Tortur, und eine Alternative sehe ich für uns nicht.

- Wie fühlen Sie sich selbst mit „Spirit“?

Gahan: Sehr, sehr gut. Es war eine sehr richtige Entscheidung für uns, die Räder neu in Bewegung zu setzen und mit James Ford jemanden zu verpflichten, der mit einem frischen Paar Ohren an Depeche Mode heranging. James ist nicht nur ein hervorragender Produzent, er hat auch Martin und mich noch einmal enger zusammengebracht. Außerdem spielt er phantastisch Schlagzeug und Gitarre und versteht von Synthesizern so viel wie kaum ein Mensch sonst. Er war eine hervorragende Ergänzung für uns.

- Wie meinen Sie das, wenn Sie sagen, er habe Martin und Sie noch enger zusammengebracht? Geht das denn?

Gahan: Ja, natürlich. Er hat uns zusammengeschweißt, den Teamgeist wirklich sehr stark gefördert. Martin wird immer der Mittelpunkt sein, wenn es um das Songwriting geht. Mir ist es vor Jahren gelungen, auch einen Fuß in diese Tür zu bekommen, und James Ford gelang es, das Beste aus uns herauszukitzeln und unseren jeweiligen Songs auszuwählen.

Gore: Bei Depeche Mode gibt es ja immer den Balance-Akt zwischen den familiären Elementen, wie dem üppigen Einsatz von modularen Synthesizern, dem typischen, extrem wiedererkennbaren Sound und Daves Stimme sowie gewissen Neuerungen. Wir haben die letzten drei Alben mit Ben Hillier aufgenommen, wir sind auch immer noch Freunde, aber wir wollten etwas anderes machen, und James bringt dieses frische Element rein.

- Wie liefen denn die Aufnahmen mit ihm?

Gore: Sehr schnell und geradezu leichtfüßig. Wir dachten anfangs, er würde sich schon noch unserem eher gemächlichen Tempo im Studio anpassen, aber nichts da. Wir hatten im September noch ein Studio in New York gebucht, das konnten wir wieder stornieren, weil im August alles schon im Kasten war, sechs Wochen vor der geplanten Fertigstellung. Das gab es bei uns noch nie. Aber James Ford ist nicht nur sehr effizient, er ist auch ein Soundgenie.

- Allerdings: Wer „Spirit“ gehört hat, der macht sich danach noch mehr Sorgen um die Welt als vorher.

Gore: Ja. Das soll er auch! Denn die Sorgen sind berechtigt. Für mich war eine der wesentlichen Intentionen mit dem Album, die Leute zum Denken zu bewegen.

- Mr. Gahan, soweit man weiß, sind Sie ein glücklicher, nach Drogenexzessen, Herzstillstand und Blasenkrebs inzwischen gesund lebender, durchtrainierter Mann von 54 Jahren. Wie schwer fällt es Ihnen, solch lyrisch abgründigen Songtexte wie jenen zu „Poison Heart“ zu schreiben?

Gahan: In Musik und Texten offenbare ich Aspekte von mir, die ich so im wahren Leben nicht formulieren kann und möchte. Und die ich auch niemals würde in einer Beziehung ausleben wollen. In meinen Songs kommt der Teil meiner Persönlichkeit zum Ausdruck, der ansonsten verschlossen und versteckt bleibt. Und das aus gutem Grund (lacht).

- Warum ist das so?

Gahan: Ich kann es nicht genau sagen. Ich weiß nur: Manchmal muss ich Dark Dave rauslassen. Sonst würde er mich auffressen. Glücklicherweise kann ich heute reinschlüpfen und rausschlüpfen aus diesem Charakter. Ich bin nicht mehr auf der dunklen Seite gefangen so wie früher.

- Hell wird es selbst am Schluss des Albums nicht. Im letzten Song „Fail“ singen Sie „Oh, we are fucked“.

Gahan: Für mich ist das schlüssig. Wir sind am Ende und machen trotzdem weiter.

Gore: Das kleine bisschen Hoffnung ist die schöne Instrumentalmusik nach der letzten Zeile (schmunzelt).

- Bei all den unschönen Entwicklungen in den USA und England - wollen Sie nicht nach Deutschland ziehen?

Gore: Das ist witzig. Darüber habe ich auch gerade mit Daniel Miller gesprochen, dem Inhaber von Mute Records, der uns 1980 unter Vertrag nahm und so etwas ist wie unser Mentor. Daniel lebt jetzt in Berlin, und er schwärmte ohne Ende von der Stadt. Aber ich habe einen 14-jährigen Sohn, der nur alle zwei Wochen bei mir ist, daher ist es etwa schwierig, momentan aus Santa Barbara wegzuziehen, wo ich seit fast 20 Jahren lebe und mich auch sehr wohlfühle.

Gahan: In New York habe ich meine Heimat gefunden, die Stadt ist unsere kleine Insel inmitten des Wahnsinns. Aber ich bin zum Beispiel auch sehr, sehr gerne in Berlin. Nach Konzerten mache ich abends nichts mehr, doch am nächsten Tag sehe ich immer zu, dass ich ein bisschen spazieren gehen kann. Berlin ist ideal für mich zum Flanieren. Das ist die Stadt, in der wir aufgewachsen sind und die Stadt, die uns immer sehr unterstützt hat.

- Inwiefern aufgewachsen?

Gahan: Wir kamen schon sehr früh nach Berlin. 1983 haben wir in den „Hansa Studios“ unser Album „Construction Time Again“ aufgenommen. Später haben wir noch häufig in Berlin gearbeitet. Wir guckten der Stadt dabei zu, wie sie sich veränderte, wie die Mauer fiel, wir waren stets fasziniert von der Dynamik, der Spannung in der Stadt. Und gerade Berlin fühlt sich auf der Bühne an wie eine gigantische Familienfeier.

- Können Sie sich vorstellen, in 13, 14 Jahren mit Depeche Mode das 50-jährige Bandjubiläum zu feiern?

Gore: Warum eigentlich nicht?

Gahan: Ich wüsste gar nicht, was ich mit mir anfangen sollte, wenn ich die Musik nicht mehr hätte. Ich kann mir allerdings vorstellen, später nicht mehr so lange auf Tournee zu sein. Ich liebe das, aber es wird immer schwerer, je älter ich werde. Davon abgesehen, sehe ich gerade auch nichts, das uns stoppen könnte.