Der Erfinder der Popmusik
Freudentaumel und Zerrissenheit: Wie der Kinderstar Michael Jackson den Weg zur musikalischen Weltspitze fand.
Düsseldorf. Es gab einen Moment, an dem hat sich Michael Jackson von einem talentierten Kinderstar zu einem Phänomen verwandelt. Zum Übermenschen des Pop. Es war im März 1983. Jacksons Ex-Plattenlabel Motown, bei dem er mit der Familien-Band "Jackson Five" groß geworden war, wurde 25 Jahre alt. Jackson trat live auf, präsentierte den Song "Billie Jean".
Der damals 23-Jährige trat auf die Bühne, unter der schwarzen Hochwasserhose glitzerten die Socken, er trug diesen einen weißen Handschuh, und er tanzte. Er tanzte auf Zehenspitzen, zog den Hut tief ins Gesicht, machte diese zuckenden Bewegungen - und dann kam der Moonwalk. Jahre später erzählte er, wie er drei Wochen lang auf einem Drum Computer an dem Rhythmus von Billie Jean gefeilt hatte. Wie er in seiner Küche den Moonwalk geübt hatte! Wie aufgeregt er gewesen war!
Michael Jackson hatte sich an diesem Abend neu und - vorläufig - endgültig erfunden. Alles, was danach kam, leitete sich aus diesem Auftritt ab. Er war zu dem Zeitpunkt endgültig nicht mehr der Junge mit der glockenhellen Stimme, der mit seinen Brüdern grundsoliden Soul sang. Und er war nicht mehr der Heranwachsende der ersten Solo-Alben. "Off the Wall" hatte zwar beachtliche Erfolge eingefahren, stand musikalisch aber immer noch in der Tradition von Vater Joe Jackson und Motown. Lieder wie "It’s the Falling in Love" hatten das Süßlich-Säuselnde, das der Vater seinem Sohn so gerne angedeihen ließ. Er hatte ihn schon als Kind von der großen Liebe singen lassen. Das rührte.
Mit "Thriller" war das Säuseln vorbei. "Billie Jean" handelt von einem Groupie, das behauptet, ein Kind von ihm zu haben. Musikalisch ist das Album nicht mehr Soul, nicht mehr Funk, aber auch nicht Rock. Es ist definitiver Pop. Von diesem Zeitpunkt an bestimmt Michael Jackson buchstäblich tonangebend, was in diese Kategorie fällt - und was nicht. Und er verkauft zur Musik auch gleich noch die Geschichte dazu. Das Musikvideo "Thriller" war damals nicht nur das teuerste Video aller Zeiten. Es hat auch eine Kunstrichtung begründet. Alle seinen späteren Videoclips kommen Kurzfilmen gleich. Danach konnte es sich keine Band mehr leisten, einfach nur einen Live-Auftritt abzufilmen.
"Bad" war in der Diskographie von Michael Jackson das Album nach Thriller. Für sich genommen mit acht Millionen Verkäufen und zahlreichen Nummer-Eins-Hits aber ein gigantischer Erfolg. Jackson ging zum ersten Mal auf Welttournee und festigte seinen Ruf als Ausnahme-Entertainer.
1991 folgte nach vierjähriger Pause "Dangerous" und mit ihm eine neue Stufe des Gigantismus. 900 Millionen US-Dollar soll ihm Sony damals für einen 15-Jahres-Vertrag gezahlt haben. Gleichzeitig begann damals die Zeit, in der sich Jackson nicht mehr selbst genügte. In der er hunderte von Millionen Dollar für Bühnenbauten und Kostüme ausgab. In der sein Verhalten immer häufiger als merkwürdig wahrgenommen wurde.
Den Gipfel erreichte er mit dem Doppelalbum "History", für das er sich gottgleich inszenierte und auf dem seine Weltverbesserer-Songs nicht mehr visionär, sondern naiv daherkamen. Es folgten Zusammenbrüche. Bei seinem letzten Live-Auftritt im Rahmen der World Music Awards 2006 brachte er kaum einen Ton heraus. Mit den anstehenden 50 London-Konzerten wollte sich Jackson gleichzeitig zurück- und abmelden. Es sollte ein, so seine Wunschvorstellung, gigantischer Showdown werden.
Musikalisch überholte sich der Vater des Pop irgendwann selbst. Die vormals eindringlichen Rhythmen, die in Geniestreichen wie "Wanna be starting somethin’" oder "Black or White" direkt ins Blut gingen, wurden bei "History" seltsam überladen. Die dünne Stimme verlor sich im Bassgewitter. Michael Jackson rangierte zwischen belanglosem Dancefloor-Pop und Balladen-Einerlei. Plötzlich klang Michael Jackson wie eine kitschige Version von Justin Timberlake. Jener Mann, den Größen wie Motown-Gründer Berry Gordy und Produzent Quincy Jones einst als das größte Talent der Branche bezeichneten, wurde seiner Rolle als Pop-Gott nicht mehr gerecht.
Denn am Ende musste er immer an seinen eigenen, überdimensionalen Maßstäben messen. Was auch immer er tat, er blieb der Mann, der mit "Thriller" das Jahrhundert-Album komponiert hat. Seine anstehenden Konzerte in London waren in wenigen Minuten ausverkauft.
Janet Jackson hat einmal gesagt, dass ihr Bruder nur zu seinem Vergnügen großartige Opern - Musikshows, Gesang, Tanz - komponiert habe. Vielleicht ist der größte musikalische Schatz von Michael Jackson noch gar nicht geborgen.