Kasabian: Dem Wahnsinn auf der Spur

Statt gefälligen Stadionrock zu liefern, verfolgt das britische Quartett Kasabian mit seinem dritten Album ein Konzept: Sie wollen dem Irrsinn einen Klang geben.

Was ist normal, was reiner Irrsinn? Die Beantwortung dieser Frage, sie hängt seit Menschengedenken davon ab, nach welchen Konventionen die Gesellschaft lebt.

Hielt man Banker noch vor Kurzem mit ihrer uniformierten Schlipshörigkeit für den Inbegriff der durchschnittlichen Angepasstheit, wissen wir mittlerweile, dass sie zuhauf das Geld anderer Leute auf den Börsenparketten dieser Welt rauschhaft wie beim Roulette verschleuderten.

Eigentlich ziemlich pathologisch - und damit ein Fall für die Klapse. Noch allerdings gibt’s Kanapees und Perlwein für die Sozialhasardeure.

Dass die Welt gaga geht, ist auch Kasabian nicht verschlossen geblieben. Im vergangenen Jahr standen die Briten an einem Scheideweg. Zwei Alben hatten sie mit erfreulicher Resonanz veröffentlicht, das letzte, "Empire", war sogar so erfolgreich, dass das Quartett auf der Insel als eine der wichtigsten Bands der vergangenen zehn Jahre firmiert.

Und nun sollte ein weiteres Werk her. Für die Plattenfirma am besten natürlich so eine Kiste, bei der die Musiker auf Nummer sicher gehen, ihr bisheriges Repertoire einfach etwas variieren und von einem teuren In-Produzenten aufhübschen lassen.

Das wäre die einfache Nummer gewesen, und Coldplay oder Keane haben das mit ihren dritten Alben auch nicht anders gemacht. Tom Meighan und Sergio Pizzorno, die beiden kreativen Köpfe von Kasabian, konnten sich mit diesem Weg des geringsten Widerstands allerdings nicht anfreunden.

"Den Durchbruch hatten wir schon geschafft", resümiert Pizzorno. "Deswegen war es jetzt an der Zeit, das System von innen heraus zu zerstören."

Was so martialisch klingt, ist in erster Linie auf ihre Songs und ihr Selbstverständnis als Musiker gemünzt. Aber natürlich soll "West Ryder Pauper Lunatic Asylum" auch ein Kommentar zur grassierenden Ziel- und Planlosigkeit von Politik, Wirtschaft, ja der gesamten Weltengemeinschaft sein.

Etwa noch so ein paar gedrechselte Weltverbesserer-Balladen, die von entrückt lächelnden Neo-Hippies am Lagerfeuer nachgeträllert werden können? Mitnichten! Kasabian sind tatsächlich rein formal den richtigen Weg gegangen und begegnen allgemeiner Konzeptlosigkeit mit einem Konzeptalbum - simpel wie genial.

Man kann es deutlich vor sich sehen, wie die Bosse ihrer Plattenfirma, der Sony, die Hände über ihrem Kopf zusammengeschlagen haben dürften, als sie von solch postpubertär anmutendem Sendungsbewusstsein hörten. Doch alle Stoßgebete nutzten nichts.

Die vier Herren aus Leicester setzten sich durch. Die Chance, einen genauso großen Hit wie mit "Empire" zu landen, haben sie mit dieser Kompromisslosigkeit zwar verspielt. Gedanken scheinen sie sich darüber allerdings noch nicht zu machen.

Dafür sind sie von ihrem neuen Oeuvre zu überzeugt, was deutlich wird, wenn Pizzorno ketzt: "Dir wird immer gesagt, dass du zehn Hit-Singles schreiben sollst, aber wir dachten uns, wir ignorieren das einfach und machen etwas viel Krasseres."

Krass ist das, was Kasabian nun abliefern, in der Tat. Es flirrt und surrt und knirscht und knarrt, mal hört man versetzte Hintergrundchöre, dann wieder industriell klingende Rundumbeschallung und dazwischen Meighans Stimme, scheinbar verloren, aber doch präsent inmitten dieses akustischen Sperrfeuers.

Ursprünglich sollte sich jeder Song um einen der Insassen jener Anstalt drehen, die dem Album seinen Namen gab. Das "West Ryder Pauper Lunatic Asylum" war das erste englische Irrenhaus für Arme, im frühen 19. Jahrhundert in der Grafschaft Yorkshire gegründet.

Während der Produktion rückten Kasabian von diesem Plan allerdings ab und erklärten stattdessen den Wahnsinn an sich zum einzigen roten Faden.

Diese Vorgehensweise hat einen ganz besonderen Wirkstoff: Faszination. Allerdings nur für den Moment. Bleibende Durchschlagskraft kann das Experiment nicht entfalten, dazu ist es zu kopflastig. Manchmal ist aber der Versuch allein, mal etwas anderes zu wagen, bereits aller Ehren wert.