Zeitreisende aus den 80ern
Mit ihrem 15. Album „Graffiti Soul“ setzt die Band um Sänger Jim Kerr live und im Studio auf ein Comeback.
Gelsenkirchen. In den 80er Jahren verkauften sie ihre Alben in Massen und füllten die größten Konzerthallen. Mitte der 90er Jahre sank ihr Stern ebenso beharrlich, wie er zuvor aufgegangen war - und es dauerte fast ein weiteres Jahrzehnt, um zur alten Stärke zurückzufinden.
An der Karriere der Simple Minds dürfen sich die Geister scheiden, an ihrer Live-Präsenz allerdings nicht: Beim Tourstart im Gelsenkirchener Amphitheater und mit einem Auftritt bei "Wetten, dass...?" meldete sich die schottische Band um den Sänger Jim Kerr jetzt zurück. "Graffiti Soul" heißt das 15.Studio-Album der Band, das an alte Zeiten anknüpfen und jene Schaffensphase vergessen lassen soll, in der die Simple Minds nach Kerrs eigenen Worten einem "Jumbo-Jet ohne Treibstoff" glichen.
Die Zutaten live und im Studio sind altbekannt: Sphärische Gitarrenriffs, druckvolle Rhythmen und kultivierter Pathos, den Kerr am Mikro zelebriert, als habe ihn eine Zeitmaschine aus den 80ern direkt vor die Augen seiner loyalen, aber mittlerweile überschaubaren Ü-30-Fangemeinde katapultiert.
Und die steht bei Konzerten der Simple Minds vor allen Dingen bei den Klassikern Kopf: Songs wie "Don’t You (Forget About Me)" und "Alive and Kicking" elektrisieren nach wie vor - und lassen einen Moment lang vergessen, dass das nicht minder legendäre "Belfast Child" als Melodie für Bierwerbung herhalten musste. Warum das so ist, weiß beim Tourstart nur der Himmel über Gelsenkirchen. Vornehm hält sich dieser mit Regen zurück, als Kerr sichtlich gerührt den Beifall der 4500 Fans entgegennimmt, die an diesem lauen Juni-Abend an die Magie der Simple Minds glauben.
Sie werden mit den Songs auf "Graffiti Soul", das bei Universal erschienen ist, ebenso präzise wie durchkalkuliert bedient - auch wenn die großen Chart-Erfolge jetzt die Rock-Bands der nächsten Generation verbuchen und ein Retro-Album einfach zu wenig Überraschungen bietet, um in Scharen neue Fans zu gewinnen.
Die Ränge des Amphitheaters bieten für Rückmeldungen dieser Art die perfekte Kulisse und lassen den Funken auch bei neuen Songs wie "Rockets" oder der Single "Stars Will Lead The Way" überspringen. Und genau das sind die Simple Minds 2009: zu schade, um das Publikum bei Chart-TV-Shows zu bespaßen, aber auch zu weit weg, um Arenen zu füllen, wie es U2 oder Depeche Mode als überlebende 80er-Jahre-Saurier nach wie vor zu tun vermögen. Paradox.
Was bleibt, sind schöne Live-Abende wie der in Gelsenkirchen und ein Frontmann, dessen Gesten nach wie vor auf 50 000 Zuhörer geeicht sind. Bei dieser Atmosphäre kein Zufall: Am 18.Juli ist mit Simply Red eine weitere Ikone der 80er Jahre im Amphitheater zu erleben. Im Gegensatz zu den Simple Minds füllt dieser Brite aber nach wie vor auch große Hallen.