Neil Young: Monolith im Gitarrensturm
Er zerfetzt die Saiten und rockt den Rhein: Neil Young wird am Kölner Tanzbrunnen gefeiert.
Köln. Plötzlich ist es windstill. Wie ein versteinertes Denkmal hält dieser gebeugte Brocken kurz inne. Ein Monolith im ausklingenden Gitarrensturm, den er gerade erst selbst entfacht hatte.
Dann haut er noch einmal auf den Hals der Gitarre, deren Saiten zerfetzt abstehen, herunter hängen. Ein letztes Aufbäumen. Und Neil Young hat "A day in the life", den Beatles-Klassiker, vollkommen zerlegt.
Das brachiale Finale eines grandiosen Abends am Tanzbrunnen: 9000 Menschen feiern den 63-jährigen Meister aus Kanada. Kurz vor Konzertbeginn verzieht sich die letzte Wolke am Rhein. Ein blauer Sommerhimmel.
Wolken hätten gegen diese Wucht, die sich gleich auf der mit Boxen, Instrumenten sowie einer Staffelei und einem Teil eines Totems vollgestellten Bühne entwickeln wird, eh keine Chance. Es sind stromgeladene Orkanböen, die in Richtung Rhein pusten. Und mittendrin: Neil Young.
Er hält sich nicht mit langen Begrüßungen auf. Mit dunkler Sonnenbrille, ausgewaschenem Hemd und fusselig-schütteren Grauhaaren kommt er kraftvoll auf die Bühne, lässt sich die Elektrische umhängen und schreitet zur Sache: "Hey, hey, my, my": Keine Frage, so wird Rock’n’Roll nie sterben. Der Song, der ihn zum Vater der Grunge-Bewegung gemacht hat, eröffnet den Abend. Furios, rau, dynamisch. Da braut sich ein Unwetter zusammen, das nur der Altmeister alleine bändigen kann. Will er aber nicht.
Das Publikum steht staunend da. Es ist geballte Energie, mit der Neil Young ein Solo an das andere reiht. Nicht filigran, nein grobschlächtig baut er Schicht um Schicht seines so eigenen Gitarrensounds auf: übersteuert, mit Rückkopplungen durchsät, gewaltsam - eben faszinierend.
Da wird auch das eigentlich akustische, fast heimelige "Pocantohos" zur metallischen Furie unter den dröhnenden Fetzen, die Young erzeugt. Immer wieder brandet begeisterter Zwischenapplaus auf.
Young ist in Höchstform und das Publikum honoriert das, ist begeistert und überrascht von der unbändigen Energie. Außerdem hat das jüngste, etwas kauzige Album "Fork in the road" (eine Art Konzeptalbum im Interesse der ökologischen Automobilentwicklung) nicht einen so rustikalen Abend erwarten lassen.
Die ruhigen Momente sind rar gesät, dafür aber folkige Großtaten. Den Puristen beschert er eine schöne Version von "Comes a time". Die Country-Freunde dürfen sich zu "Harvest moon" in den Armen wiegen.
Herzzerreißend: "Mother Earth". Dafür setzt sich/ Young ans mächtige Harmonium, an dem sogar er klein wirkt. Die Erhabenheit des Liedes und die Leidenschaft des Vortrags - Youngs Stimme scheint unter der Last von Mutter Erde zu leiden - lässt ihn schnell wieder wachsen. Das sind innige Sequenzen, Zeit zum Luftholen. Denn das atemlose Staunen über den Haudegen mit indianischen Wurzeln geht weiter.
"Words" und "Down by the river" sind die Songs des Abends, die Young und Band, darunter auch Ehefrau Pegi im Chor, jeweils in zehnminütigen XXL-Versionen zelebrieren. Da hat er den Freiraum, sich und seine Kunst auszuleben. Dafür legt er sich geradezu über die Gitarre, scheint sie zu umarmen, wohlwissend, was er ihr gleich zufügen wird.
Neil Young vergräbt sich in seine Lieder, versinkt selbstvergessen in einen Rausch aus brutalen Riffs, die er wütend mit weit ausholenden Bewegungen aus den Saiten schneidet und reißt. Sein Körper verkrampft im Inferno und wirft sich aufbäumend in die nächste Welle der elektronisch aufgeladenen Soundböen. Harmonien zerbersten, bis am Schluss nur ein Ton im Park am Rhein stehen bleibt. Das ist Youngs Kunst!
Sein Appell "Keep on rockin’ in a free world" als Schluss ist eine popgewordene Befreiung. Klatschende Hände über den Köpfen. Eine wippende Menge, in der auch eine Reihe junger Anhänger diese musikalische Offenbarung genießen: Neil Young ist ein zeitloses Mysterium.
Dann der Schlusspunkt in der einzigen Zugabe der zweistündigen Show: "A day in the life" mit der Zeile, die den Abend bezeichnet: "A crowd of people stood and stared". Und verneigt sich vor Neil Young.